Forschungsthemen

Abb. 1: Rembrandt (1606-1669), Aristoteles mit einer Büste von Homer, 1653. Mit freundlicher kostenfreier Genehmigung des Metropolitan Museum of New York (MET). Bildnachweis.

Nr 4
Neue Wege für die Nutzung digitaler Bilder
Christine von Oertzen umreisst die Probleme des Open-Acess-Zugangs zu digitalen visuellen Medien und berichtet über die Bemühungen des MPIWG, Empfehlungen für den wissenschaftlichen Gebrauch von visuellen Quellen zu erarbeiten.

Wer heutzutage Abbildungen historischer Kulturgegenstände wissenschaftlich nutzen und publizieren möchte, muss viele Hindernisse überwinden: Hohe Kosten für Lizenzen und schwer durchschaubare Zugangsregelungen machen das wissenschaftliche Arbeiten mit Bildern in den Geisteswissenschaften immer schwieriger. Zwar hat die Digitalisierung von Bildbeständen neue wissenschaftliche Forschungen angestoßen, aber wie, wo und auf welcher Basis Bilder für wissenschaftliche Zwecke genutzt werden dürfen, wird von Archiven, Sammlungen und Bibliotheken sehr unterschiedlich und zunehmend restriktiv geregelt, zumal wenn es um neue Formen des e-publishing geht. Als Mitinitiator der Open Access Bewegung hat das MPIWG in Abstimmung mit Vertretern führender Museen, Bibliotheken, Bildarchive und Verlage Empfehlungen zur Verbesserung der wissenschaftlichen Nutzung und Publikation von historischem Bildmaterial erarbeitet. Dieser Appell zielt darauf ab, einen Pakt gegenseitigen Vertrauens und gemeinsamer Zusammenarbeit zwischen Wissenschaftlern und Kuratoren kulturhistorischer Bestände zu schließen – um den Zugang zu und die wissenschaftliche Nutzung von visuellen Medien zu erleichtern.

Das Arbeiten mit Gemälden, Fotos oder Graphiken hat in den Geisteswissenschaften in den letzten Jahren durch den so genannten visual turn deutlich an Gewicht gewonnen. Auch in der Wissenschaftsgeschichte sind visuelle Medien in den Mittelpunkt der historischen Analyse gerückt: Das Sehen selbst wird als Teil wissenschaftlicher Praxis untersucht. Plastische Beispiele dafür, welche zentrale Rolle Bildmedien in der aktuellen Forschung am MPWIG spielen, sind die Projekte zur Geschichte der wissenschaftlichen Beobachtung, zur Untersuchung von Zeichnung und Aufzeichnung als wissenschaftliche Techniken und zur Wissensgeschichte der Architektur.

Während auf der Seite der Wissenschaft Interesse und Bedarf an visuellen Quellen wachsen, zeichnet sich im Zuge der Digitalisierung auf der Seite der Museen, Bibliotheken und Sammlungen ein Trend ab, der die wissenschaftliche Nutzung von historischem Bildmaterial zunehmend erschwert und die Publikation historischen Bildmaterials immer unerschwinglicher macht, zumal, wenn es darum geht, neue Formen des e-publishing zu nutzen, wie sie in den Naturwissenschaften schon gang und gäbe sind. Angesichts des allseits steigenden Drucks auf öffentliche Haushalte erheben viele Bibliotheken, Museen und Archive für die Nutzungsrechte an ihrem digitalen Bildmaterial beträchtliche Gebühren, obgleich die Originale selbst nicht mehr durch Copyright geschützt sind. Andere, vor allem kleinere Häuser, geben die Digitalisierung und Vermarktung ihrer Bildbestände ganz an kommerzielle Bildarchive ab.

In den meisten Ländern schützt das Copyright das geistige Eigentum von Künstlern und Autoren 70 Jahre über deren Tod hinaus. Nach Ablauf dieser Zeit geht das geistige Eigentum in die so genannte public domain oder das öffentliche kulturelle Erbe über und ist damit allgemein und frei zugänglich. Als Eigentümer der physischen Objekte können Museen, Bibliotheken und Sammlungen jedoch den Zugriff auf dieses Erbe und die Nutzung von dessen digitaler Abbildung nach eigenem Gutdünken gestalten. Belegen sie die wissenschaftliche Nutzung mit überhöhten Gebühren, höhlen sie die Idee der freien Zugänglichkeit des kulturellen Erbes aus.

Es sind nicht nur finanzielle Erwägungen, die Museen und Sammlungen veranlassen, den Zugriff auf Objekte, deren geistiges Eigentum Teil des frei zugänglichen kulturellen Erbes ist, zu beschränken. Furcht vor Missbrauch und falscher Zuschreibung spielen ebenfalls eine große Rolle. Die Digitalisierung vereinfacht die schnelle Verbreitung von Reproduktionen und öffnet Fälschungen und falschen Zuschreibungen Tür und Tor. Ist das Objekt auf einer Abbildung nicht mehr identifizierbar, verliert es seinen Wert. Als Sachwalter des kulturellen Erbes sehen Kuratoren in Museen und Sammlungen sich in der Pflicht, solchem Missbrauch vorzubeugen.

Bis vor kurzem waren es vor allem Anstrengungen von Seiten der Forschung, dem Trend der Nutzungsbeschränkung historischer Bildmedien Initiativen entgegenzusetzen, um den offenen Zugang zu visuellen Quellen zu sichern. An erster Stelle ist hier die vom MPIWG mit europäischen Fördergeldern ins Leben gerufene Initiative European Cultural Heritage Online zu nennen. Seit jüngster Zeit zeigen jedoch auch einige bedeutende Museen, wie sie die Belange von Wissenschaft und Forschung berücksichtigen und mit ihren eigenen Interessen in Einklang bringen. Sie stellen Teile ihrer digitalen Bildbestände der Forschung unentgeltlich zur Verfügung: Das Victoria and Albert Museum in London bietet diese Dienstleistung Wissenschaftlern über die museumseigene Homepage an. Das Metropolitan Museum of Art in New York kooperiert mit der nichtkommerziellen digitalen Bibliothek ARTstor. Über die Datenbank Images for Academic Publishing (IAP) ist der Zugriff auf Bilddateien des Metropolitan Museum of Art in hoher Auflösung für die wissenschaftliche Nutzung kostenfrei möglich. Es zeichnet sich ab, dass weitere große Museen diesem Beispiel folgen werden.

Führende Vertreter aus Wissenschaft und Museen, aus Bibliotheken und Verlagen kamen im Januar 2008 auf Initiative des MPIWG in Berlin zusammen, um die gegenwärtige Lage gemeinsam zu reflektieren. Denn die Folge der geschilderten Problemen darf gerade nicht sein, die wissenschaftliche Nutzung digitaler Bildbestände weiter einzuschränken. Wissenschaftler und Kuratoren, so lautete das Fazit dieser Zusammenkunft, müssen im Gegenteil neue Wege der Zusammenarbeit finden. Dies ist für die innovative Fortentwicklung der Geisteswissenschaften ebenso notwendig wie für den Erhalt des Wissens über die Bestände des kulturelles Erbes. Wenn Museen, Bibliotheken und Sammlungen Wissenschaftlern die Nutzung ihrer visuellen Bildquellen ermöglichen, müssen Wissenschaftler sich im Gegenzug verpflichten, als verlässliche Garanten für die richtige Attribution, Authentizität und Identifizierung von Objekten des kulturellen Erbes einzutreten. Sie müssen auch bereit sein, sich gegebenfalls an den Unkosten für die Digitalisierung zu beteiligen und unvermeidbare, maßvolle Gebühren für das Bildmaterial zu zahlen, das sie für ihre Forschungen benötigen.

Im Sinne dieser Übereinkunft hat das MPIWG in Abstimmung mit den Teilnehmern des Expertentreffens vom Januar 2008 Empfehlungen für die bessere wissenschaftliche Nutzung digitalen Bildmaterials entwickelt. Diese Empfehlungen fordern Kuratoren und Wissenschaftler auf, ein gegenseitig bindendes Netzwerk des Vertrauens zu schließen. Ziel dieser Initiative ist es, die heutigen und zukünftigen Herausforderungen des digitalen Zeitalters gemeinsam anzugehen. Die Empfehlungen appellieren an die Kuratoren und Bildarchive, die public domain nicht willkürlich einzuschränken und dem Bedarf der Wissenschaftler an möglichst günstig oder frei zugänglichem, hoch auflösbarem digitalen Bildmaterial entgegenzukommen - sowohl für gedruckte Veröffentlichungen als auch für neue wissenschaftliche Publikationsformen im Internet. Sie rufen Wissenschaftler auf, Museen, Bibliotheken und Sammlungen als Eigentümer und Bewahrer der physischen Objekte des kulturellen Erbes zu respektieren und deren Einsatz für die Bereitstellung digitalen Bildmaterials anzuerkennen. Sie nehmen Wissenschaftler in die Pflicht, ihre Rolle als Garanten für Authentizität und Attribution äußerst ernst zu nehmen.