Epidemien haben im südlichen Teil der Welt in den letzten Jahren Opfer gefordert und stehen wieder in der öffentlichen Debatte. Seuchen wie das Ebola-Virus in Westafrika, die Pestepidemie in Madagaskar und die Cholera im Jemen hatten massive Auswirkungen auf das Leben der Betroffenen. Die Weltgesundheitsorganisation schreitet ein, wenn sich auf unserem globalisierten Planeten übertragbare Krankheiten verbreiten, eine hohe Zahl von Todesopfern fordern und selbst bei den glücklichen Überlebenden dazu führen, dass sie ihre persönliche Welt auf Krankheit und Tod einstellen müssen. Diese Epidemien wirken nicht nur auf einer biologischen Ebene, sondern sind eng mit der Gesellschaft und Politik verbunden, auf lokaler und globaler Ebene. Viele stehen in geschichtlichem Zusammenhang mit dem Welthandel, Imperialismus oder mit Traumata wie Krieg oder Armut. In den Debatten um Erkrankungen verbergen sich daher Fälle, in denen vor allem Angehörige ethnischer oder religiöser Minderheiten als Menschen erscheinen, die Krankheiten übertragen, zu Opfern von Krankheiten werden oder bei denen beides zutrifft.
Die Sterblichkeitsraten, Migrationsströme und Bevölkerungsgesundheit nordafrikanischer Hafenstädte sind historisch gesehen von Epidemien geprägt. Im 19. Jahrhundert erlebten Alexandria, Tripolis und Tunis eine Reihe von wirtschaftlichen, politischen und gesundheitspolitischen Veränderungen, da sie als Teil der osmanischen Provinzen vom Imperialismus und von Modernisierungsprojekten betroffen waren. Für das Verständnis dieser Dynamik bieten sich unter Verwendung von Handels-, Diplomaten- und Gesundheitsdokumenten die Häfen gut als Fallstudie an, da sie als Zugangs- und Regulierungspunkte für Waren und Menschen dienten, die dort entweder versklavt wurden, als Kaufleute tätig oder als Flüchtlinge unterwegs waren. Die Epidemien erreichten diese Häfen nicht unabhängig vom sozialen Kontext, sondern hingen davon ab, wie Geschäfte von Amtspersonen verhandelt wurden, und sie basierten auf Vermutungen, wer infiziert werden würde.
Vermutungen zur ethnischen Zugehörigkeit waren eng mit der Wahrnehmung und Bekämpfung von Krankheiten verbunden. In den 1850er Jahren brach die Cholera in verschiedenen Mittelmeerhäfen aus; gemeldet wurde dies üblicherweise von europäischen Kaufleuten und Einheimischen, die Schiffe und deren Waren als Seuchenopfer angaben. Der britische Konsul von Tunis vermutete, dass 415 Pilgerreisende für die Übertragung der Cholera während der Epidemie von 1850 verantwortlich waren. Man folgerte daraus auch, dass dasselbe Schiff auf seiner Route über Tunis dann Tripolis erreichte, was dort zu einem weiteren Ausbruch führte, „der bislang vor allem für Juden und einige Malteser tödlich war“. Was Krankheiten anbelangte, war die Cholera nicht die einzige Sorge: am 11. September 1850 berichtet ein Sir … Crowner, dass „109 Christen, 39 Juden und 67 Türken und Mauren“ an der Pest gestorben seien (Abb. unten).
Der Hafen von Tripolis stand in Verbindung mit Alexandria, Marseilles und Tunis und erlebte den Handel und die Pest ebenso wie andere nordafrikanische Hafenstädte. Was diesen Bericht jedoch besonders macht, ist die ethnische Kennzeichnung der nichtchristlichen Bevölkerung: Die Einheimischen von Tripolis werden nicht als Araber, Amazigh, Schwarze oder Muslime, sondern als Mauren gekennzeichnet, und die jüdische Bevölkerung wird separat von der Gruppe der Mauren und Türken erfasst.
Krankheiten wirkten sich auch auf die Art der Regulierung des Gesundheitswesens auf globaler Ebene aus. Modernisierungs- und Reformprojekte führten zu Forderungen nach Hygiene, einer teilweisen Internationalisierung von Gesundheitsvorschriften und zu einem Versuch, teilautonome Herrschaftsbereiche zu schaffen. Die Quarantäne wurde zu einem zentralen Bestandteil der Regulierung von Waren und Personen durch internationale Organisationen. Artikel 124 der Pariser Internationalen Hygienekonvention von 1852 regelte die Überwachung von Krankheiten in Häfen und führte dazu, dass das Gesundheitsamt von Alexandria (Ägypten) von der lokalen Regierung unabhängig wurde und das Gesundheitswesen damit unter internationaler Aufsicht stand. Netzwerke wie die Internationale Gesundheitskonferenz (aus der später 1948 die Weltgesundheitsorganisation hervorging) und nichtstaatliche Gesundheitsbehörden wie das Quarantäneamt von Alexandria wurden zur Eindämmung und Ausbreitung von Krankheiten eingerichtet. Diese Regulierung auf globaler Ebene beschränkte sich nicht nur auf Alexandria: 1886 druckte die in Tunis angesiedelte Zeitung Ra’id al-tunisi internationale Quarantänebestimmungen und verpflichtete die tunesische Bevölkerung damit auf das Protokoll der Massen.
Gesundheitseinrichtungen und -vorschriften wie die oben genannten wurden als Resultat der mit Reisen und Handel verbundenen Epidemien allgemein eingeführt. Die Zweckmäßigkeit des Handels schien dabei jedoch eine wichtigere Rolle zu spielen als die Eindämmung von Krankheiten. Am 27. Juli 1885 forderte der Leiter des Hafengesundheits- und Quarantäneamts von Ägypten, Walter F. Miéville:
„Was England angeht, gibt es einen besonderen Grund, warum Schiffe, die an ihre eigenen Häfen gebunden sind, nicht Regeln folgen sollten, welche die Mittelmeermächte vielleicht für notwendig erachten, da die Segelzeit von Ägypten zu Häfen im Vereinigten Königreich selbst schon eine ausreichende Quarantäne ist. “
Diese besondere Verknüpfung spricht dafür, dass Gesundheitsbestimmungen sowohl auf globaler als auch auf lokaler Ebene manchmal durch Profitstreben überstimmt werden können.
Bis in das 20. Jahrhundert und insbesondere auch während des Erstens Weltkriegs, der sich an der nordafrikanischen Küste wiederfand, spielten Alexandria, Tripolis und Tunis in geopolitische Gesundheitskonzepte mit hinein. Die Senussi-Feldzüge (1915–17) operierten innerhalb eines europäischen Einsatzgebietes, brachten aber auch breit angelegte Maßnahmen mit sich, die sich auf das Gesundheitswesen auswirkten. Hygiene war mit der Wehrmedizin verbunden, die Gesundheit der Truppe war Teil der militärischen Operation. Ab 1919 setzte das britische Außenministerium Prophylaxemaßnahmen ein, um die Ausbreitung von Infektionskrankheiten nach Europa zu verhindern. Dies war Teil des Vorschlags der Briten, nach dem Ersten Weltkrieg eine Eisenbahnlinie und Pipeline von der Gegend um Mossul nach Tripolis zu bauen. Die Macht, Infektionskrankheiten einzudämmen, wurde für ein breites Spektrum von Agierenden zum Kern- und Streitpunkt, brachte aber auch Institutionen und Vorschriften des Gesundheitswesens mit sich, die bestimmte Waren und Personengruppen von einer Durchreisemöglichkeit abschnitten.
Epidemien sind nicht nur biologisch wirkende Kräfte, die durch Überträger wie Kleidung oder Menschen wandern: Sie haben eine breitere Wirkung, die sich mit anthropogenen, geopolitischen und materiellen Kräften deckt. Als Teil des Forschungsthemas „Histories of Planning“ der Abteilung III wird diese Forschungsarbeit solche Einflüsse auf das Gesundheitswesen und die wissenschaftliche Praxis im Zusammenhang mit Epidemien in Nordafrika und dem Nahen Osten als Problemstellung umfassen und sie mit aktuellen Fragestellungen verknüpfen.