In den letzten Jahrzehnten ist unsere Welt eine zunehmend datengesättigte geworden. Selbst in den entlegensten Winkeln der Erde werden kontinuierlich Daten gesammelt und für die Gestaltung unseres Lebens und unserer Landschaften genutzt. Zwar ist dieser Zustand auch das Ergebnis weitreichender Kommunikationsnetzwerke, effizienter Sensoren, leistungsstarker Computer und ausgefeilter Algorithmen, doch ist der technologische Fortschritt längst nicht die einzige Ursache. In Zeiten wirtschaftlicher und ökologischer Prekarität versprechen Daten Effizienz, Wettbewerbsfähigkeit und vielleicht sogar einen Blick in die Zukunft. Sie sind zu einem wichtigen Gut für eine Vielzahl von Branchen und zu einer entscheidenden Ressource für Regierungen aller Ebenen geworden – ganz gleich, ob diese Regierungen versuchen, das Wirtschaftswachstum zu fördern, die öffentliche Gesundheit zu schützen, Kriege zu führen, politische Meinungsverschiedenheiten zu glätten oder andere Ziele zu erreichen.
Auch Wissenschaftler*innen haben sich datenintensive Forschungsmethoden wie Machine Learning und Citizen Science zu eigen gemacht, die versprechen, in unsicheren Zeiten das Beste aus begrenzten Ressourcen herauszuholen.
Populäre und wissenschaftliche Diskussionen über Daten drehen sich häufig um die Repräsentation, sowohl im epistemischen als auch im politischen Sinne des Begriffs, d. h. um die Frage, ob Daten die Welt korrekt repräsentieren und wer dazu berechtigt ist, über sie zu sprechen. Unsere datengesättigte Zeit wirft aber auch andere Fragen auf: über Arbeit und Gemeinschaft, Gerechtigkeit und Souveränität, Ängste und Hoffnungen. Wer wird bei Projekten zur Datenerhebung und -verwaltung ausgebeutet und wer profitiert davon? Unter welchen Bedingungen ist die Datenerhebung ein Instrument der Ermächtigung und unter welchen Bedingungen ist sie ein Instrument der Unterdrückung? Wann verängstigen und isolieren Daten Menschen und wann inspirieren und verbinden sie uns? Die Wissenschaftler*innen der Abteilung versuchen diesen Fragen im Rahmen des übergreifenden Abteilungsthemas zum Verständnis der gegenseitigen Bedingtheit von Wissenssystemen und unserem kollektiven Leben auf den Grund zu gehen.
Der Blick auf Daten bietet auch die Möglichkeit, die konkreten Grundlagen von Wissenschaft und Politik zu untersuchen. Wir stellen uns Daten oft als Abstraktionen vor – Zahlen, die im Raum schweben, Bits, die im Cyberspace flackern –, doch eigentlich sind sie nie wirklich immateriell. Daten werden an bestimmten Orten mit bestimmten Instrumenten auf bestimmten Medien über bestimmte Infrastrukturen und von bestimmten Menschen erhoben – und dasselbe gilt für ihre Übertragung, Speicherung und Analyse. All diese Besonderheiten prägen die Rolle, die Daten bei der Bildung von Gemeinschaften, der Organisation von Arbeit, der Strukturierung von Politik und der Produktion von Wissen spielen. Die Wissenschaftler*innen der Abteilung versuchen daher, Daten als Praktiken zu verstehen, die verkörpert, materiell und in bestimmten Zeiten und Orten situiert sind.