Microscope Slides, also Glasplättchen, auf denen kleine Gegenstände mikroskopierbar fixiert werden, sind übliches Arbeits- und Unterrichtsmittel in den Lebenswissenschaften. Welche Aussagekraft haben sie aber für die Wissenschaftsgeschichte? Das Internationale Max Planck Forschungsnetzwerk „History of Scientific Objects“ hat sich zur Aufgabe gemacht, anhand ausgesuchter Objekte die materielle Kultur der Wissenschaftsgeschichte zu untersuchen. Dazu gehört, Objekte wissenschaftshistorischen Interesses neu zu entdecken, wozu auch Gegenstände aus der Alltagswelt verschiedener Wissenschaften zählen können. In diesem Zusammenhang wurde ein Projekt ins Leben gerufen, dessen Anliegen sowohl darin besteht, Microscope Slides als wissenschaftshistorische Objekte zu untersuchen, als auch darin, ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass scheinbar unwichtige Gegenstände aus dem Forschungsalltag eine wissenschaftshistorische Relevanz haben können.
In einem Workshop gingen Wissenschaftshistoriker der Frage nach: Wieviel Wissenschaftsgeschichte verbirgt sich auf zwei Quadratzentimetern Glas? Auf einer Website stellen sie erste Ergebnisse vor.
Auf den ersten Blick erscheinen Slides als „verlorene Objekte“: Als Arbeitsmaterial von Wissenschaftlern wurde der größte Teil von Slides-Sammlungen nach Ende der Forschungen entsorgt, und was an Glasmaterial überdauerte, wurde nicht selten im Krieg zerstört. Die Initiatorin des Projekts zu „Microscope Slides“, Prof. Ilana Loewy, ist schließlich in unterschiedlichen Berliner Museen und Forschungsinstitutionen fündig geworden: Die Zoologischen Lehrsammlung der HU Berlin beispielsweise enthält neben Skeletten, Wandtafeln und Modellen knapp 30.000 mikroskopische Präparate, darunter eine Schnittsammlung zu Tiefsee-Schwämmen; oder die embryologische Sammlung im Naturkundemuseum, das seit 2004 die embryologische Hubrecht&Hill-Sammlung verwahrt und ca. 80.000 histologische Präparate enthält, die von Wissenschaftlern aus aller Welt für Fragestellungen der Morphologie und Entwicklungsbiologie zu Rate gezogen werden; oder die Sammlung Vermes im selben Haus, die 30.000 Slides umfasst, darunter Schauobjekte in Übergröße und umfangreiche Sammlungen von Privatpersonen.
Das Forschungsnetzwerk „History of Scientific Objects“ hat daraufhin gemeinsam mit den Berliner Partnern einen interdisziplinären Workshop mit Hands-On-Sessions organisiert. Die Sammlungen mit Slides erweisen sich als „Schatzkammern“ für die Geschichte der wissenschaftlichen Objekte. Das betrifft etwa die Zusammenhänge mit anderen Objekten, wenn sich die embryologische Sammlung einen Raum mit Tigerfellen teilt, und wenn die Schnitte in den Originalschränken des Hubrechtlabors zwischen massiven Rinderschädeln verwahrt werden. Neben der Verschiedenheit der Formate und Aufbewahrungsformen faszinieren die Zusammenhänge mit anderen Objekten, wie Fotografien oder Zeichnungsapparaten, wenn beispielsweise die Zieglerschen Wachsmodelle zur Käferentwicklung nach Zeichnungen von Mikroskoppräparaten gebaut wurden. Aber auch die Sammlungsgeschichte selbst kann Aufschluss über die Arbeit der Wissenschaftler geben.
Einige Sammlungen sind detailliert dokumentiert, so dass sich aus den Katalogen Preis und Wert der Arbeit ebenso herauslesen lassen wie internationale Kooperation im Ankauf und wissenschaftlichen Austausch dieses speziellen Objekts. Ende des 19. Jahrhunderts ließen z.B. Pathologen Slides weltweit kursieren, um das Gelbfieber durch schnellere Diagnose einzudämmen.
Die Fragen der beteiligten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auf dem Workshop haben sich sowohl an den einzelnen Objektträger wie an Slides-Sammlungen als Quelle für die Wissenschaftsgeschichte gerichtet: welchen Wert hatten sie für die Ersteller, wie sollen die oft mehrere zehntausende Objekte umfassende Sammlungen bewahrt und dokumentiert werden? Welchen Zweck haben sie heute noch? Der Workshop machte deutlich, dass Slides mehr sind als nur ein unwichtiger Gegenstand in der Wissenschaftsgeschichte. Besonders aussagekräftig können sie auch für Wissenschaftlerbiographien sein, als Zeugen vom Alltag im Labor, aber auch als Prestigeobjekt: besonders schöne oder seltene wurden als Trophäen der Mikrobenjagd gerahmt und verschenkt. An Slides lässt sich zeigen, wie ein scheinbar veraltetes Objekt durch aktuelle Forschungsmethoden zu neuen Ergebnissen führen kann, etwa wenn histologische Schnitte zur DNA-Analyse herangezogen oder Digitalisierte Fotos von historischen Slides zu neuen virtuellen Modellen zusammengesetzt werden.
Für die Teilhnehmerinnen und Teilnehmer des Workshops wurden Slides als epistemisches Objekt, wegen ihres ambivalenten Status zwischen Objekt und Abbildung interessant. Sie sind zugleich Rohmaterial und wissenschaftliches Ergebnis und konservieren sowohl Teile eines Originals wie die Forschungsarbeit, die daraus ein wissenschaftliches Objekt machte. Die Forschungen zu der Vielschichtigkeit dieses Objekts werden in einem kollektiven Essay und mit einer Website fortgesetzt, die jetzt zugänglich ist. Ein nächster Workshop zu „Aesthetics of Slides“ ist in Paris geplant.