Kontakt
Stephanie Hood (Stellvertretende Leiterin Kooperation und Kommunikation)
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Diese innovative neue Abteilung am Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte (MPIWG) wird historische, ethnografische, multimediale und partizipative Ansätze verwenden, um unser Verständnis für die historischen Wurzeln aktueller Krisen – ökologische, epidemiologische, wirtschaftliche, diplomatische – und die Arten von Wissen, die mobilisiert wurden, um diese anzugehen, zu vertiefen. Die Abteilung wird von Etienne Benson, Wissenschaftshistoriker mit einem Schwerpunkt auf Umweltwissenschaft und -politik, geleitet. Er war zuvor Associate Professor an der University of Pennsylvania.
Wie beeinflusst Politik, was wir wissen und wie beeinflusst das, was wir wissen Politik? Ändert der Umstand, in einer Zeit zunehmender Krisen zu leben, die Art, wie Wissenschaftler*innen ihre Forschung durchführen und ihre Ergebnisse Entscheidungsträgern und der Öffentlichkeit präsentieren? Wo liegen die historischen Ursprünge für das Misstrauen gegenüber der Wissenschaft und für das wachsende Interesse an alternativen Wegen, Wissen zu produzieren und zu vermitteln? Die interdisziplinäre Abteilung versucht, diese dringlichen aktuellen Fragen an der Schnittstelle von Wissenschaft, Politik und Gesellschaft in eine globale und historische Perspektive zu rücken.
„Ich freue mich, dass ich die Gelegenheit habe, am Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte diese Forschungsagenda zu verfolgen“, so Benson. „Das Institut nimmt seit seiner Gründung 1994 auf dem Gebiet der Wissenschaftsgeschichte und der Erforschung anderer Formen des Wissenserwerbs eine Vorreiterrolle ein. Es bietet die optimalen Rahmenbedingungen für die Art von kollaborativer interdisziplinärer Forschung, die notwendig ist, um Fragen von solcher Tragweite und Komplexität anzugehen.“
Einen ersten Schwerpunkt bildet die Erforschung der sich verändernden Beziehungen zwischen verschiedenen Formen von Umweltwissen in Krisenzeiten. Dieser baut auf Bensons Buch Surroundings (2020) auf, das die Geschichte des modernen Begriffs von Umwelt beleuchtet, von den Anfängen im 18. Jahrhundert im französischen Naturalismus bis zur Neuerfindung durch Wissenschaftler*innen, Gelehrte, Künstler*innen und Aktivist*innen im frühen 21. Jahrhundert. Das Buch zeigt, dass unterschiedliche Gruppen sich im Laufe der Geschichte völlig unterschiedliche, mitunter unvereinbare Vorstellungen von der Umwelt gemacht haben. Diese Unterschiede haben Einfluss darauf genommen, wie sie dringliche Umweltprobleme angegangen sind. Die Abteilung wird diesen Forschungsbereich um neue Perspektiven in Bezug auf Umweltwissen in Krisenzeiten erweitern und dabei auch die Perspektiven etwa indigener Gemeinschaften und des globalen Südens einbeziehen.
Als Forschungsobjekt ist die Umwelt besonders geeignet, um die Beziehung zwischen Wissenschaft und Politik und zwischen Wissensbildung und gesellschaftlichem Zusammenleben zu erforschen. Umweltprobleme sind meist akut und komplex, Interessensgruppen sind sich häufig nicht einig über die grundlegenden Spielregeln einer Debatte und die Wissenschaft steht oft mit anderen Wissensformen im Konflikt. Um zu verstehen, wie die Generierung und Verbreitung von Wissen unter diesen Bedingungen erfolgt, bewegen sich die Abteilungsmitglieder auf verschiedenen Forschungsebenen, vom einzelnen Labor über das Feld bis hin zum Planeten als Ganzes. Darüber hinaus wird vergleichende Forschung zu anderen komplexen und umstrittenen Wissensgebieten wie zum Beispiel dem Gesundheitswesen und der Sozialpolitik betrieben.
Diese breit gefächerte Forschungsagenda erfordert interdisziplinäre Zusammenarbeit und die Entwicklung innovativer Methoden. Die Wissenschaftler*innen werden sich auf unterschiedliche nationale und transnationale Kontexte fokussieren und sich Ansätze aus der Wissenschaftsgeschichte, Geistesgeschichte, Anthropologie, Medienwissenschaft sowie Wissenschafts- und Technologieforschung zunutze machen. Multimediale Forschungsmethoden wie Oral History und ethnografische Filmaufnahmen werden Perspektiven, Erfahrungen und Stimmen aufzeigen, die nicht in jenen Textaufzeichnungen zu finden sind, die üblicherweise von Historiker*innen herangezogen werden. Um persönlich betroffenen Menschen die Möglichkeit zu bieten, als aktive Partner Teil des Forschungsprozesses zu sein, wird die Abteilung dabei eng mit den jeweiligen Communitys zusammenarbeiten.
In einer Zeit soziopolitischer Unruhe steht das Bedürfnis nach belastbarem Wissen, um dem Klimawandel und anderen dringenden Herausforderungen zu begegnen, direkt neben einer zunehmenden Uneinigkeit über die Validität von Quellen und Standards für Wissen. Dieses hochaktuelle Forschungsprogramm wird Lücken in unserem Verständnis von dem historischen Hintergrund und Alternativen zu diesem Dilemma der heutigen Zeit schließen. Im Sommer 2023 nimmt eine Arbeitsgruppe zum Thema „Environmental Knowledge in Times of Crisis“ (Umweltwissen in Krisenzeiten) ihre Arbeit auf; für den Herbst 2023 ist eine Eröffnungsveranstaltung für die Abteilung geplant. Die Abteilung freut sich darauf, ab Frühling 2023 Doktorand*innen, Postdocs und Wissenschaftliche Mitarbeiter*innen für die Bearbeitung der ehrgeizigen Forschungsagenda begrüßen zu dürfen.
Biographie: Etienne Benson
Etienne Benson ist Wissenschaftshistoriker mit einem Schwerpunkt auf Umweltwissenschaft und -politik im 19. und 20. Jahrhundert. Er hat am Massachusetts Institute of Technology (2008) promoviert. Bevor er ans MPIWG kam, war er Associate Professor an der University of Pennsylvania (2013–2022). Er war außerdem Wissenschaftlicher Mitarbeiter in der MPIWG-Abteilung „Ideale und Praktiken der Rationalität“ (unter der Leitung von Lorraine Daston) und Postdoctoral Fellow am Harvard University Center for the Environment.
Ausgewählte Veröffentlichungen