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Kontakt: hachtmann@mpiwg-berlin.mpg.de [Zurück zum Anfang dieser Seite] Ost- und "Lebensraum"-Forschung in Kaiser-Wilhelm-InstitutenSusanne Heim(seit 1. Januar 1999) Im Zentrum dieses Teilprojekts steht die landwirtschaftliche Forschung an Kaiser-Wilhelm-Instituten (KWIs) im Hinblick auf die Ostexpansion. Die nationalsozialistischen Autarkiepläne sahen vor, daß Polen, Südosteuropa und die besetzten Gebiete der Sowjetunion als Rohstoff- und Nahrungsmittellieferanten für das Deutsche Reich dienen sollten. Teil dieser Konzeption war zum einen eine gezielte Hungerpolitik in der besetzten Sowjetunion zugunsten der Versorgung der Deutschen mit Lebensmitteln aus diesen Gebieten. Zum anderen wurde intensiv an der Steigerung der Agrarproduktion mittels Tier- und Pflanzenzucht gearbeitet, so auch an den einschlägigen Kaiser-Wilhelm-Instituten. Herbert Backe, Staatssekretär und später Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft, war von 1941 an Vizepräsident der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft (KWG). Sein Ministerium finanzierte Forschungsarbeiten in den Kaiser-Wilhelm-Instituten für Züchtungsforschung, Kulturpflanzenforschung, Tierzuchtforschung, Bastfaserforschung, Arbeitsphysiologie, im Deutsch-Bulgarischen Institut für landwirtschaftliche Forschung, im Institut für landwirtschaftliche Arbeitswissenschaft und in anderen Einrichtungen der KWG. Zu den Forschungszielen dieser Institute gehörten
Wissenschaftler der genannten Institute haben darüber hinaus in unterschiedlichem Maße die sich mit der militärischen Ostexpansion eröffnende Möglichkeit genutzt, Institute in den besetzten Ostgebieten zu übernehmen. Die KWG hat einige ihrer Institute dorthin verlagert, andere neu errichtet. Im Zuge der militärischen Räumung sind schließlich umfangreiche Forschungsressourcen, wissenschaftliche Sammlungen, Bibliotheken etc. aus diesen Gebieten nach Deutschland transferiert worden, u. a. auch an verschiedene KWIs. Seit 1943 arbeitete das KWI für Züchtungsforschung (Erwin-Baur-Institut) eng mit der landwirtschaftlichen Versuchsstation des Konzentrationslagers Auschwitz zusammen, um den Latexgehalt von Kautschukpflanzen zu steigern. 1944 wurde die Kautschukforschungsabteilung des KWI unmittelbar in das KZ Auschwitz verlegt. In dem nunmehr abgeschlossenen Forschungsprojekt ist untersucht worden, inwieweit und in welchen Schritten sich die wissenschaftlichen Fragestellungen, Forschungsobjekte und -methoden an den Kaiser-Wilhelm-Instituten im Zuge der deutschen Ostexpansion veränderten; ferner wurde danach gefragt, wie Wissenschaftler die ihnen durch die NS-Herrschaft im allgemeinen und die Ostexpansion im besonderen gebotenen Möglichkeiten für ihre Forschung nutzten: Von der Ausbeutung von Forschungsgebieten und -ressourcen in den besetzten Ländern über die Nutzung der dortigen wissenschaftlichen Ergebnisse und Einrichtungen bis hin zur Beschäftigung wissenschaftlicher Zwangs- und Sklavenarbeiter/innen oder auch kollaborierender Wissenschaftler aus besetzten Ländern. Am Beispiel einzelner Personen wird erkennbar, in welcher Weise wissenschaftlicher Ehrgeiz, politische Überzeugung bzw. die Identifikation mit der "nationalen Sache" und die Vorstellung, eine einmalige Gelegenheit sowohl zur Forschung als auch zum praktisch-politischen Einfluß geboten zu bekommen, bei der Überwindung moralischer Tabus zusammenwirkten. Die politischen Bedingungen des NS-Regimes behinderten nicht etwa, wie häufig angenommen, die wissenschaftliche Entwicklung, sondern eröffneten Freiräume und Entfaltungsmöglichkeiten für die Forschung, die von deutschen Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen genutzt wurden, selbst wenn dies bedeutete, die elementaren Rechte und oft auch das Leben anderer Menschen zu mißachten. Eine Monographie, in der die Ergebnisse des Projekts zusammengefaßt sind, wird im Herbst 2003 im Wallstein-Verlag erscheinen. Kontakt: heim@mpiwg-berlin.mpg.de [Zurück zum Anfang dieser Seite] Rüstungsforschung der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft im NS-System am Beispiel des Kaiser-Wilhelm-Instituts für MetallforschungHelmut Maier(seit 1. Januar 1999) Eine der elementaren Voraussetzungen für die Durchführung des Eroberungs- und Vernichtungskrieges bildete die materielle Rüstung der Wehrmacht. Mit dem Ziel, Rohstoffversorgung, Produktionstechnologien und Waffen zu optimieren, wurden seit 1933 ingenieur- und naturwissenschaftliche Forschung und Entwicklung sukzessive in den Dienst rüstungsökonomischer und militärischer Interessen gestellt. So gerieten auch die Institute der Chemisch-Physikalisch-Technischen Sektion der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft (KWG) ins Blickfeld der rüstungswirtschaftlichen Stellen des "Dritten Reiches". Umgekehrt bot sich der KWG und ihren Instituten durch die Mobilisierung der Ingenieur- und Naturwissenschaften für die Rüstungsforschung die Möglichkeit, ihre Versorgung mit knappen Ressourcen und Spezialisten sicherzustellen. Das Beispiel des Kaiser-Wilhelm-Instituts (KWI) für Metallforschung ist in besonderer Weise geeignet, die Funktionalisierung der Wissenschaft für die Lösung zentraler Problembereiche in der Rüstung zu veranschaulichen. Einige bis 1945 erfolgreich durchgeführte Projekte betreffen die Entwicklung von Legierungen aus im deutschen Machtbereich verfügbaren Rohstoffquellen, die zerstörungsfreie Werkstoffprüfung in der Flugzeugmotorenindustrie oder die Entwicklung von Meßsonden für das Aufspüren von Minen für die Kriegsmarine. Auch disziplingeschichtlich und wissenschaftspolitisch spielte das KWI für Metallforschung eine herausragende Rolle. Schon seit den 1920er Jahren rekrutierten sich von dort zahlreiche der bedeutendsten Metallkundler, die seit 1933 von der expandierenden Rüstungsindustrie übernommen wurden oder in die Industrie-, Hochschul- und Militärforschung überwechselten. Der geschäftsführende Direktor des Instituts, Prof. Dr. Werner Köster, übernahm 1937 ein wichtiges wissenschaftspolitisches Amt, als er zum Fachspartenleiter für Nichteisenmetalle des Reichsforschungsrates berufen wurde. Im Zentrum des hier vorgestellten Vorhabens steht die Frage, in welchem Ausmaß die wissenschaftliche Praxis des KWI für Metallforschung auf die Bedürfnisse von Wehrmacht und Rüstungsindustrie umgestellt wurde. Inwieweit war es überhaupt noch gerechtfertigt, von "Grundlagenforschung" zu sprechen oder war die These von den "Freiräumen" der Wissenschaft im Nationalsozialismus nur eine vergangenheitspolitische Legende? Wie stark wirkten sich NS-Wissenschaftspolitik, "Gleichschaltung" und Vertreibung von politisch und rassisch Verfolgten auf die Institutsarbeit letztlich aus? Aus welchen staatlichen oder industriellen Quellen finanzierte sich die Metallforschung, und wie weit identifizierten sich die Wissenschaftler selbst mit den politischen und militärischen Zielen des Regimes? Hatte das KWI für Metallforschung bei Kriegsende seine internationale Spitzenstellung eingebüßt, oder stellte es durch seine Kriegsforschung nicht gerade ein lohnendes "mission target" für die alliierten Erkundungsteams dar? Wie bewerteten die Wissenschaftler nach der "Entnazifizierung" selbst ihre Kollaboration mit dem und ihre Selbstmobilisierung für das NS-Regime? Wie gelang es den Mitarbeitern, das KWI trotz Zerstörung und Demontage beim Wiederaufbau der metallkundlichen Forschung und Lehre in der jungen Bundesrepublik wieder erfolgreich zu etablieren? Kontakt: maier@mpiwg-berlin.mpg.de [Zurück zum Anfang dieser Seite] Biochemie im Krieg. Adolf Butenandt und sein Institut 1939 bis 1945Achim Trunk(seit 1. November 2001) Der Chemie-Nobelpreisträger Adolf Butenandt (1903 bis 1995) gilt als einer der wichtigsten Biochemiker des 20. Jahrhunderts. Auch als Wissenschaftspolitiker machte sich Butenandt einen Namen - insbesondere als Präsident der Max-Planck-Gesellschaft von 1960 bis 1972. In den letzten Jahren ist Butenandt jedoch in die öffentliche Kritik geraten. Verschiedene Vorwürfe sind gegen ihn erhoben worden, die zumeist wissenschaftliche Grenzüberschreitungen während der NS-Zeit thematisieren. Der wohl weitreichendste Vorwurf geht von einer Beteiligung Butenandts an Menschenexperimenten aus, die der SS-Arzt Josef Mengele im Konzentrationslager Auschwitz durchführte. Aber auch die als kriegswichtig deklarierten Forschungsarbeiten, welche an seinem Kaiser-Wilhelm-Institut für Biochemie während des Zweiten Weltkrieges durchgeführt wurden, haben zuletzt verstärkt Aufmerksamkeit auf sich gezogen. So wird hier beispielsweise eine Beteiligung Butenandts an der Entwicklung von Massenvernichtungsmitteln gesehen. Diese beiden Komplexe sind Gegenstand des Interesses von Achim Trunk. Der Frage nach einer Involvierung Butenandts in Mengeles Verbrechen wird dabei im Detail nachgegangen. Hierzu wird ein Forschungsvorhaben analysiert, welches der Anthropologe und KWI-Direktor Otmar von Verschuer 1943 aufnahm und für welches er Blutproben von seinem Assistenten Mengele aus dem KZ Auschwitz bezog. Butenandt trat hinzu, als im Projekt methodische Probleme auftraten: Er half Verschuer aus, indem er ihm einen Mitarbeiter zur Verfügung stellte. Nach einer derzeit noch allgemein als zutreffend angesehenen Rekonstruktion umfaßte das Forschungsvorhaben tödliche Menschenversuche. Ihr zufolge infizierte Mengele gezielt KZ-Gefangene mit Tuberkulose, um ihre rassisch bedingte Widerstandskraft gegen diese Krankheit zu beobachten. Da diese Rekonstruktion aber einige Fragen offen läßt und im Widerspruch zu verschiedenen Quellenaussagen steht, wird eine abweichende Rekonstruktion vorgenommen, nach welcher das Vorhaben einen großangelegten Versuch zur serologischen Rassediagnose beim Menschen darstellte. Menschenversuche sind dann für dieses Projekt nicht nur - wie bisher - nicht zu beweisen, sondern tatsächlich auch nicht anzunehmen. Das Projekt stand jedoch in einem einschlägigen rassebiologischen Forschungskontext, der wiederum eng mit der rassistischen Praxis NS-Deutschlands verschränkt war. Insofern stellte die Nähe Butenandts zu einem solchen Projekt nach dem Krieg für ihn eine Belastung dar, die auch seine späteren Bemühungen zur Relativierung seiner Beziehung zu Verschuer erklärt. Der zweite Schwerpunkt umfaßt die kriegswichtigen Forschungsvorhaben des Kaiser-Wilhelm-Instituts für Biochemie von 1939 bis 1945. Diese sollen stärker in ihrer Breite erfaßt und analysiert werden. Die überwiegend problematische Quellenlage bedingt, daß die vordringliche Aufgabe in der Klärung der Sachverhalte besteht, um überhaupt eine valide Basis für Analyse und Interpretation herzustellen. Anschließend kann dann analytischen Fragestellungen nachgegangen werden - etwa nach der Stellung der Biochemie in der Kriegswirtschaft und nach ihrem Beitrag zur effizienten Kriegsführung. Es zeichnet sich dabei ab, daß der wesentlichste Beitrag des Butenandtschen Instituts zur Kriegsmobilisierung in der Bearbeitung kriegsrelevanter medizinischer - nicht zuletzt auch wehrmedizinischer - Fragen bestand. Bislang läßt sich zeigen, daß einige der Assistenten Butenandts mit der Durchführung ihrer Forschungsaufgaben zumindest in ethische Grauzonen vorstießen. Die weitergehenden Vorwürfe - betreffend etwa ein Engagement Butenandts bei der Entwicklung des Nervenkampfstoffes Soman - konnten hingegen bisher nicht bestätigt werden. Ziel der Nachforschungen ist es, auf einer verbreiterten Quellenbasis eine präzisere inhaltliche Beschreibung und historische Bewertung der Forschungspraxis am KWI für Biochemie während der Kriegsjahre vorzunehmen. Kontakt: trunk@mpiwg-berlin.mpg.de [Zurück zum Anfang dieser Seite] Rassenforschung und Rassenpolitik im "Dritten Reich" unter besonderer Berücksichtigung des Kaiser-Wilhelm-Instituts für Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik (1933-1945)Benoit Massin(1. März 2000 - 31. Juli 2002) "Rasse" war ein zentraler Begriff für die nationalsozialistische Ideologie und Politik. Viele Aspekte, die uns heute an den Verbrechen des Nationalsozialismus im Vergleich zu anderen totalitären Systemen singulär erscheinen, wurden im Namen der "Rasse" verübt. Die Mehrzahl der deutschen Humangenetiker und Rassenanthropologen begrüßten die Bemühungen der Nationalsozialisten, ihre Politik auf Rassenbiologie zu gründen. Sie behaupteten schlicht, der Nationalsozialismus selbst sei "angewandte Rassenkunde". Der Nationalsozialismus rückte somit die "Wissenschaft von der Rasse" (Rassenkunde, Rassenforschung oder Rassenbiologie) ins wissenschaftliche Rampenlicht. Diese neue politische Bedeutung hatte eine verstärkte Institutionalisierung zur Folge. So wurde der Etat des Kaiser-Wilhelm-Instituts für Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik (= KWIA, gegründet 1927) unter der Leitung von Eugen Fischer zur Zeit des NS-Regime mehr als verdoppelt. Als Gegenleistung hat das Institut, so Fischer, "sich vor allem [...] in den Dienst der wissenschaftlichen Unterbauung und praktischen Durchführung rassen- und bevölkerungspolitischer Maßregeln des neuen Staates hat". Viele Historiker haben die Begriffe "Rassenkunde" (im Sinne einer Anthropologie der Rassen) und "Rassenhygiene" (Eugenik im Sinne einer aktiven biomedizinische Steuerung der Fortpflanzung und Auschaltung von sozialen Abweichungen) synonym gebraucht. Die angestrebte Untersuchung wird sich auf "Rassenkunde" im engeren Sinne konzentrieren: Das Studium morphologischer "Systemrassen" als Teil der physischen Anthropologie und das Studium der Verteilung genetischer Charakteristika in Bevölkerungsgruppen. Die Rassenanthropologie zwischen 1918 und 1945 fächerte sich in verschiedene Forschungsrichtungen auf: groß angelegte Untersuchungen zur Verteilung physischer Charakteristika und "Rassentypen"; Studien über die Vererbung "normaler" (das heißt nicht pathologischer) morphologischer Eigenschaften (hauptsächlich basierend auf Zwillingsforschung); und die "rassengeographische" Verteilung von Blutgruppen. Innerhalb der KWG wurde eine dementsprechend ausgerichtete Rassenforschung hauptsächlich am KWI für Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik durchgeführt. Damit war das Institut eine herausragende Schnittstelle zwischen "Rassenforschung" und nationalsozialistischer Rassenpolitik. Es ist daher notwendig, im Rahmen des Forschungsprogramms die Geschichte dieses Instituts und seiner Hauptakteure in ihrem sozialen und politischen Kontext zu rekonstruieren. Darüber hinaus ist es auch wichtig den Inhalt dieser Wissenschaft zu beachten. Die Arbeiten des Instituts sollen dabei mit ähnlichen Forschungsprogrammen in Deutschland und weltweit verglichen und im Kontext der internationalen Debatte um die "Rassefrage" untersucht werden. Von zentralem Interesse ist, wie sich "Rassenforschung" und die Rassenpolitik der Nationalsozialisten gegenseitig beeinflußt haben. Dabei sind wenigstens drei verschidene Ebenen zu untersuchen. Zunächst müssen die Auswirkungen der Politik auf die Wissenschaft beleuchtet werden. In welchem Ausmaß haben die politischen Rahmenbedingungen die Inhalte der Wissenschaft, die Form einzelner Debatten, die Forschungsausrichtungen und die institutionellen Strukturen mitbestimmt? Welche Folgen hatte die Vertreibung jüdischer und politisch mißliebiger Wissenschaftler? Welche Bedeutung und Wirkung hatte die Unterstützung rassistischer Politik durch die Wissenschaftler? Welchen spezifischen Beitrag leisteten die Wissenschaftler zu Antisemitismus und Holocaust? Dann wird die Beteiligung der Wissenschaftler an der Politik untersucht. Wissenschaftler des KWIA waren als Experten und Berater der NS-Rassenpolitik u. a. in folgenden Fällen beteiligt:
Drittens haben die Anforderungen der NS-Politik besondere wissenschaftliche Entwicklungen bestimmt. So wurden z. B. am KWIA neue wissenschaftliche Identifizierungtechniken zur Abstammungsbestimmung weiterentwickelt um dem Bedarf der NS-Rassenpolitik entgegenzukommen. Da es das Hauptziel der geplanten Studie ist, Wechselwirkungen zwischen politischen Programmen und wissenschaftlichen Zielsetzungen aufzuzeigen, muß schließlich der Einfluß der Wissenschaft auf die Politik Beachtung finden. Dabei soll zunächst ermittelt werden, inwiefern "Rassenforschung" und Humangenetik die Legitimationsgrundlage für NS-Politik darstellten. Sodann muß untersucht werden, wie die Instrumentalisierung von Wissenschaft im Rahmen der NS-Politik im einzelnen funktionierte. Freilich erscheint Wissenschaft in beiden Fällen lediglich als "Dienerin" der Politik. Es ist daher auch notwendig zu zeigen, wie Wissenschaft die NS-Ideologie und Politik mitgestaltete, wie sich politische Programme an wissenschaftlichen Vorgaben orientierten, und wie die "Rassenforschung" die "Rassenpolitik" anleitete, d. h. wie Wissenschaftler den politischen Kontext für ihre eigenen Zwecke instrumentalisierten. Nicht vergessen werden darf die Beteiligung von KWIA-Wissenschaftlern an unethischen und kriminellen Humanexperimenten, an Forschungen in Konzentrationslagern und an der Beschaffung von "menschlichem Material" für wissenschaftliche Zwecke. Von allen Kaiser-Wilhelm-Instituten ist das KWIA in dieser Hinsicht wohl eines der am meisten belasteten. Suchaufruf:Ich wäre sehr dankbar, wenn ich Zeitzeugen befragen könnte, die folgenden Rassenuntersuchungen unterzogen wurden:
Schließlich bin ich auch an Kontakten zu Personen interessiert, die zwischen 1930 und 1945 am KWIA gearbeitet haben oder die im Besitz von Informationen über dieses Institut und seine Mitarbeiter sind. Insbesondere wäre ich dankbar für Informationen über zwei SS-Lagerärzte und einen weiteren SS-Arzt, die in Auschwitz tätig waren bzw. das Lager besucht haben: Dr. Dr. Josef Mengele, Dr. Erwin von Helmersen und Dr. Siegfried Liebau. Darüber hinaus, wäre ich sehr dankbar, wenn ich Auskünfte über das Leben und die Tätigkeit von Wilhelm Rudolf Mann (ehemaliger IG-Farben-Direktor, geb. 1894) erhalten könnte. Kontakt: massin@mpiwg-berlin.mpg.de [Zurück zum Anfang dieser Seite] Biowissenschaften an Kaiser-Wilhelm-Instituten: Forschungsstrukturen und Forschungspraxis im NationalsozialismusBernd Gausemeier(seit 1. Januar 2000) (Projektbeschreibung in Kürze wieder verfügbar.) Kontakt: gausemeier@mpiwg-berlin.mpg.de [Zurück zum Anfang dieser Seite] Rüstungforschung über chemische Kampfstoffe an Kaiser-Wilhelm-Instituten. Ein Studie zum Verhältnis von Militär, Industrie und Wissenschaft im NS-RegimeFlorian Schmaltz(seit 1. April 2000) Im Ersten Weltkrieg leistete das Kaiser-Wilhelm-Institut (KWI) für physikalische Chemie und Elektrochemie unter der Leitung des Institutsdirektors Fritz Haber einen entscheidenden Beitrag zur Forschung und Entwicklung chemischer Kampfstoffe und der zu ihrem militärischen Einsatz notwendigen Gasschutzmittel. Der im April 1915 erfolgte deutsche Ersteinsatz von Giftgas in Ypern wäre ohne diese wissenschaftliche Zuarbeit ebensowenig möglich gewesen, wie der anschließende Rüstungswettlauf, bei dem immer giftigere chemische Massenvernichtungswaffen in den Labors für den Fronteinsatz entwickelt wurden. Während über die Kampfstoff-Forschung des KWIs während des Ersten Weltkrieges inzwischen mehrere historische Studien veröffentlicht wurden, liegt für die Zeit der NS-Herschaft noch keine monograpische Untersuchung vor. Die Dissertation verfolgt das Ziel, die wechselseitigen Kooperationsverhältnisse zwischen wissenschaftlichen Experten der KWG mit der chemischen Industrie, dem Militär (Reichswehr und Wehrmacht) und dem NS-Staat zu analysieren. Welche personellen Verflechtungen von Kampfstoffexperten der KWG mit staatlichen Institutionen (Reichserziehungsministerium, DFG, Reichsforschungsrat, Vierjahresplanbehörden, Rüstungsministerium etc.), militärischen Instanzen (Heereswaffenamt), dem NS-Überwachungs- und Verfolgungsapparat (Gestapo, SD, SS) und der Großindustrie lassen sich feststellen? Neben der Selbstmobilisierung der Wissenschaftler zur Kriegsvorbereitung und während des Zweiten Weltkrieg soll auch die Kampfstoff-Forschung selbst in Bezug auf Inhalte, Ausmaß und wissenschaftliche Bedeutung untersucht werden. Ausgehend von einer Bestandsaufnahme sämtlicher Forschungsprojekte an Instituten der KWG sollen diese in ihrer jeweiligen wissenschaftsimmanenten Logik hinsichtlich der angewandten Methoden und verfolgten Ziele verortet werden. Dies erlaubt, den spezifischen Beitrag der Kaiser-Wilhelm-Institute auf dem Gebiet der Kampfstoff-Forschung während des NS-Regimes im Verhältnis zu den parallel bzw. arbeitsteilig forschenden wissenschaftlichen Institutionen der Hochschulen, der Industrie und der Wehrmacht genauer zu bestimmen. Zu unterscheiden ist zwischen Instituten, die zeitlich begrenzte Einzelaufträge bearbeiteten (KWI für Arbeitsphysiologie, KWI für Hirnforschung, KWI für Lederforschung, KWI für Strömungsforschung) und solchen, an denen die Wehrmacht über Jahre kontinuierlich arbeitetende Kampfstoff-Abteilungen unterhielt (KWI für physikalische Chemie und Elektrochemie sowie das KWI für medizinische Forschung). Wie die Militarisierung der Forschung bereits in der Endphase der Weimarer Republik begann, soll am Fallbeispiel des KWI für Arbeitsphysiologie (Dortmund/Münster) untersucht werden, das im Auftrag der Reichswehr 1932 wehrphysiologische Studien über die Leistungsfähigkeit von Soldaten im Dauereinsatz mit Gasmasken durchführte. Zusammen mit der Auergesellschaft testete die Genetische Abteilung des KWIs für Hirnforschung (Buch) 1939 Gasmaskenfilter mittels radioaktiver Isotopen. Nach Kriegsbeginn unterstützte das KWI für Lederforschung (Dresden) die Suche der Militärärztlichen Akademie nach Lederimprägnierungsmitteln gegen Lost (Senfgas). Das KWI für Strömungsforschung (Göttingen) entwickelte im Auftrag des Oberkommandos der Marine ein mathematisches Modell, um die Ausbreitung von gasförmigen Kampfstoffen zu berechnen. Dauerhafte Kooperationsbeziehungen etablierte dagegen das KWI für physikalische Chemie mit dem Heereswaffenamt, das mehrere Kampfstoff-Abteilungen an diesem Institut unterhielt, in denen vor allem über die Eigenschaften und das Verhalten von Aerosolen (Dispersionen, Nebel, Rauch) geforscht wurde. Die Ergebnisse dienten u. a. dazu, Kampfstoff-Detektoren zu verbessern, neue Filterstoffe zu entwickeln und das Verhalten von Kampfstoff-Luft-Gemischen im Freien und in geschlossenen Räumen einschätzen zu können. Einzugehen ist hierbei auf ein Kooperationsprojekt besonderer Art: Die Forschung und Produktion von N-Stoff (Chlortrifluorid), ein wegen seiner extrem reaktiven chemischen Eigenschaften als panzer- und festungsbrechende Waffe getestetes Brandmittel. Im Sommer 1944 wurden Teile des KWI für physikalische Chemie nach Falkenhagen (bei Seelow) verlagert, wo seit Ende 1938 eine N-Stoff-Fabrik erbaut wurde. Ab Sommer 1943 errichtete die I. G. Farbenindustrie in Falkenhagen zudem einen zweiten Werkskomplex zur Produktion des erst 1938 entdeckten hochtoxischen Nervengases Sarin. Wie war das KWI mit diesen Rüstungsprojekten assoziert? Welche Verantwortung trugen Wissenschaftler der KWG für den Einsatz von Häftlingen aus dem KZ Sachsenhausen, die für Bauarbeiten an den Institutsgebäuden, Labors und Unterkünften des KWIs in Falkenhagen seit Sommer 1944 zwangsrekutiert wurden? Das KWI für medizinische Forschung in Heidelberg war ein weiteres Institut, an dem das Heereswaffenamt eine eigenständige Kampfstoff-Abteilung unterhielt. Unter Leitung des Institutsdirektors und Nobelpreisträgers Richard Kuhn forschte dort eine Arbeitsgruppe über neuartige Nervengase. Tabun, das erste dieser zur Gruppe der organischen Phosphorsäureester gehörenden Nervengase, wurde Ende 1936 von dem Chemiker Gerhard Schrader bei der I. G. Farbenindustrie in Leverkusen bei Forschungen über Schädlingsbekämpfungsmittel entdeckt. Die extrem toxische Wirkung der organischen Phosphorsäurester eröffnete der Kampfstoff-Forschung ein neues interessantes Gebiet, was zur sofortigen Einrichtung von Speziallabors bei der Gasschutzabteilung des Heereswaffenamtes und der I. G. Farbenindustrie in Wuppertal-Elberfeld führte. 1938 identifizierte Schrader Sarin, ein noch giftigeres Nervengas. Um die noch nicht eindeutig aufgeklärte biochemische Wirkungsweise (Hemmung der Acetyl-Cholinesterase im Gehirn) der neuen Nervengase zu entschlüsseln, wurde am KWI für medizinische Forschung Anfang 1941 eine vom Heereswaffenamt finanzierte geheime Kampfstoffabteilung in dem Institut eingerichtet. Unter welchen Umständen dies geschah, soll institutionengeschichtlich rekonstruiert werden. Wissenschaftsgeschichtlich wird nach dem Beitrag die Forscher der Arbeitsgruppe am KWI zur Aufklärung der Wirkungsweise der neuen Nervengase gefragt. An diesem KWI entdeckten Kuhn und sein Mitarbeiter Konrad Henkel 1944 das Nevengas Soman. In seiner toxischen Wirkung allen bis dahin bekannten Nervengasen weit überlegen, wurde Soman als sog. Spitzenkampfstoff und neue "Wunderwaffe" von der NS-Führung behandelt. Nach Kriegsende zogen die Forschungsergebnisse Kuhns das Interesse der Allierten auf sich, denen bis April 1945 die Nervengase Tabun, Sarin und Soman noch unbekannt waren. Das KWI für medizinische Forschung avancierte für den amerikanischen und britischen Militärgeheimdienst rasch zu einem "Target" höchster Priorität. Kontakt: schmaltz@mpiwg-berlin.mpg.de [Zurück zum Anfang dieser Seite] Vertreibung, Entschädigung und die Vergangenheitspolitik der Max-Planck-GesellschaftMichael Schüring(seit 1. Januar 2000) In diesem Dissertationsvorhaben soll die Politik und die Haltung der Max-Planck-Gesellschaft gegenüber den aus der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft nach 1933 vertriebenen Wissenschaftlern untersucht werden. Die Frage, ob die Max-Planck-Gesellschaft in der Nachkriegszeit eine aktive Rückberufungspolitik betrieben hat oder in welchem Maße sie überhaupt zur Rehabilitierung der Emigranten in Deutschland beizutragen bereit war, ist bislang nicht umfassend erforscht worden. Die Gründung Max-Planck-Gesellschaft erfolgte mit einem ausdrücklichen Bekenntnis ihrer Vertreter zur Tradition der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft. Gerade im Hinblick auf die internationale Anschlußfähigkeit der in der Max-Planck-Gesellschaft betriebenen Forschungsprogramme und den Austausch mit Wissenschaftlern aus anderen Ländern, bot sich daher auch die Wiederaufnahme von Kontakten zu ehemaligen Mitarbeitern an. Der kalkulierte Rückgriff auf das symbolische Kapital der Vorgängerorganisation brachte jedoch ein vergangenheitspolitisches Dilemma mit sich. Es trat gerade im Zusammenhang mit den vom nationalsozialistischen Regime verfolgten Wissenschaftlern, gegen deren Vertreibung - von Einzelfällen abgesehen - ein nennenswerter Widerstand innerhalb der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft nicht stattgefunden hatte, besonders deutlich zu Tage. Viele Emigranten forderten von der Max-Planck-Gesellschaft Entschädigung für das erlittene Unrecht der Entlassung und Vertreibung. In Einzelfällen führte dies zu jahrelangen Rechtsstreitigkeiten. Dabei agierte die Generalverwaltung der Max-Planck-Gesellschaft häufig insofern ungeschickt und instinktlos, als sie die schwierige Rechtslage, die sich aus dem privatrechtlichen Status der Gesellschaft ergab, oft genug zum Nachteil der Emigranten auslegte. Sowohl die Betroffenen aber auch einige Institutsdirektoren aus der Max-Planck-Gesellschaft versuchten, der Flucht in die rechtliche Argumentation mit dem Hinweis auf die moralische Dimension des Problems zu begegnen - mit welchem Erfolg, bleibt noch zu untersuchen. Wenig ermutigend auf die Emigranten wirkte auch der Umstand, daß viele der aus der Zeit des Nationalsozialismus belasteten Mitarbeiter ihre Karriere fast bruchlos in der Max-Planck-Gesellschaft fortsetzen konnten. Zwar gab es seitens der Emigranten auch ausgesprochen positive Reaktionen auf die Gründung der Max-Planck-Gesellchaft, gerade weil viele Angehörige der älteren Generation ihre Tätigkeit für die Vorgängerorganisation als die produktivste Zeit ihres Lebens in Erinnerung hatten. Schließlich aber überwogen bei den meisten doch die zahlreichen Unsicherheitsfaktoren während der Reorganisationsphase der Gesellschaft in den frühen Nachkriegsjahren. Dies galt sowohl in politischer als auch in wissenschaftlicher Hinsicht. Daß eine größere Anzahl der Emigranten tatsächlich mit dem Gedanken an eine endgültige Rückkehr nach Deutschland gespielt hat, ist im Hinblick auf den derzeitigen Stand der Untersuchung nicht zu erwarten. Suchaufruf:Neben den prominenten Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen der Kaiser-Wilhelm-Institute (abgekürzt KWI), die nach 1933 vertrieben wurden und über die die Wissenschaftsgeschichte gut unterrichtet ist, gab es eine Reihe von Personen, die oft erst am Anfang ihrer Karriere standen und über deren Schicksal nichts oder nur sehr wenig in Erfahrung zu bringen ist. Deshalb ist es ein Teil des Projektes, Angehörige oder Schüler der Betroffenen ausfindig zu machen, die bereit sind, Hinweise oder Berichte zu deren Werdegang beizutragen, damit alle Opfer der rassistischen Personalpolitik, die für die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft gearbeitet haben, angemessen gewürdigt werden können. Es handelt sich um folgende Personen:
Kontakt: mick@mpiwg-berlin.mpg.de [Zurück zum Anfang dieser Seite] Textile Faserstoff-Forschung der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft im Rahmen der nationalsozialistischen AutarkiepolitikGünther Luxbacher(seit 1. September 2002) Nach Auflösung des Kaiser-Wilhelm-Instituts für Faserstoffchemie im Jahre1934 und dem Tod seines Direktors Reginald O. Herzog (1878-1935) war es erst die Vierjahresplan-Forschung, die die KWG bewog, sich in diesem Bereich wieder mit einem eigenen Institut zu engagieren. 1938 wurde das vom Verband Deutscher Leinenindustrieller e.V. 1919 gegründete Deutsche Forschungsinstitut für Bastfasern in Sorau/Zary (Niederlausitz) in den Kreis der Kaiser-Wilhelm-Institute als KWI für Bastfaserforschung unter der Leitung des Züchtungsforschers Ernst Schilling (1889-1963) aufgenommen. Neben der allseits propagierten Zellwolle sollten vor allem ertragreichere Flachs- und Hanfkulturen in Deutschland und den besetzten Ostgebieten den Mangel an den devisenintensiven Rohstoffen Baumwolle und Jute mindern. Mit dem nunmehr möglichen Zugriff auf umfangreiche staatliche Mittel wurde das neue "kriegswichtige" KWI in Mährisch-Schönberg/Sumperk im damaligen Sudetengau neu aufgebaut. Ab 1942 forschten 130 Beschäftigte in diesem Institut in aufeinander abgestimmten Forschungsprogrammen an fasergebenden Pflanzen und daraus zu gewinnenden spezifischen Produkten insbesondere für Zwecke der Wehrmacht. Die Forschung an Viskose-Stapelfasern ("Zellwolle") und vollsynthetischen Fasern auf Kohle-Basis wurde parallel dazu auf Abteilungsebene in verschiedenen KWIs forciert. Es gilt zu überprüfen, wie sich die einschlägige Projekte an Instituten der KWG in den Kontext der Industrie- und Hochschulforschung einordnen lassen. Ebenso wie im KWI für Bastfaserforschung war auch dabei ein wesentlicher Ausgangspunkt die "Gebrauchswertforschung", bei der das Erreichen spezieller Materialqualitäten mit dem geringstmöglichen Rohstoff- und Fertigungsaufwand den Rahmen vorgab. Welche Bedeutung spielten die natürlichen Faserstoffe Flachs und Hanf im Vergleich zu halbsynthetischen und vollsynthetischen textilen Faserstoffen in der autarkistischen und "Großraumwirtschaft" tatsächlich? Wie weit verschoben sich die Aufgabenstellungen des KWI für Bastfaserforschung und anderen faserforschenden Abteilungen an der KWG von friedenswirtschaftlichen zu rüstungswirtschaftlichen Zwecken und an welchen konkreten Aufgabenstellungen läßt sich dies nachvollziehen und wie weit waren die Mitarbeiter an der Formulierung dieser Aufgaben selbst beteiligt? Insbesondere gilt es nachzuvollziehen, welche kriegswirtschaftlichen Forderungen und Methoden es waren, die am KWI für Bastfaserforschung zu grundlegenden Verfahrens- und Rohstoffinnovationen in der Textilindustrie führten. Kontakt: luxbacher@mpiwg-berlin.mpg.de [Zurück zum Anfang dieser Seite] Adolf Butenandt als Wissenschaftspolitiker in der Nachkriegszeit. Reinigungsstrategien und Assoziierungspraktiken (Arbeitstitel)Heiko Stoff(seit 1. Juli 2002) Die Karriere des langjährigen MPG-Präsidenten und Nobelpreisträgers Adolf Butenandt ist in den letzten Jahren vor allem in Bezug auf den Nationalsozialismus diskutiert worden. Bei diesem Forschungsprojekt geht es hingegen darum, Butenandts Rolle als Wissenschaftspolitiker in der unmittelbaren Nachkriegszeit - die Tübinger Jahre von 1945 bis 1956 - zu untersuchen. Dabei soll vor allem die Gleichzeitigkeit von Reinigungsstrategien und Assoziierungspraktiken hervorgehoben werden. Die Reinigungsstrategien beziehen sich auf die Freisprechung Butenandts persönlicher Rolle im Nationalsozialismus und der der deutschen Wissenschaftler im Allgemeinen, wie er sie maßgeblich in seiner Verteidigungsrede für Heinrich Hörlein formulierte. Seine durchaus epistemologische These lautet dabei, daß eine per se unmenschliche/nicht-menschliche Naturwissenschaft im Dritten Reich durch menschliche Vorurteile und Ideologien verdorben worden sei. Einzig die auf die (unmenschliche) Rationalität setzenden Grundlagenforscher hätten sich dem widersetzt. Der Nationalsozialismus sei deshalb zum Scheitern verurteilt gewesen, weil er Rationalität und Leistung entwertet habe. Die nationalsozialistische Wissenschaftspolitik sei gerade deshalb ein gigantischer Fehlschlag gewesen, weil die wissenschaftliche Vernunft von der ideologischen Unvernunft verdrängt worden sei. Der einzig sinnvolle, tiefgreifende und zukunftsweisende Widerstand, so lautete Butenandts Verteidigungsrede, war danach die Beschützung der Rationalität in den gegen die Zugriffe des Irrationalen weitestgehend verteidigten Forschungsstätten und Laboratorien. Ähnlich wie Werner Heisenberg verkündete Butenandt für das Nachkriegsdeutschland die Dominanz des rationalen Leistungsprinzips. Naturwissenschaftler seien deshalb die privilegierten Protagonisten des neuen Staates. Rationalität und Leistung, Butenandts aktive Rolle bei der Schulreformdebatte der fünfziger Jahre zeigt dies, sollten die Grundpfeiler einer neuen Ordnung sein. Die Assoziierungspraktiken verweisen hingegen darauf, daß Butenandt als Wissenschaftler und als Wissenschaftspolitiker gerade deshalb so erfolgreich war, weil er es verstand, enge Verbindungen sowohl mit der Industrie als auch mit dem Staat einzugehen. Der "Deutsche Forschungsrat", an dessen Installation Butenandt maßgeblich beteiligt war, ist ein gutes Beispiel dafür, wie die Wissenschaft mit den Machtzentren verknüpft werden sollte. Der Forschungsrat war das - allerdings kurzlebige - Projekt einer koordinierten staatlichen Wissenschaftspolitik, bei dem ausgewählte Wissenschaftler als Experten und Berater fungieren. Das Besondere am Forschungsrat war, wie dies Cathryn Carson und Michael Gubser ausdrücken, das Konzept nicht nur einer Politik für Wissenschaftler, sondern einer Politik durch Wissenschafter. Der Forschungsrat war in der Tat angedacht als eine zentralistische Institution, welche eine Elite von rationalen Wissenschaftlern direkt an den staatlichen Machtpol (das Kanzleramt) anschließt. Ebenso bedeutungsvoll sind Butenandts Verknüpfungspraktiken mit der chemischen Industrie. Er war einer derjenigen, der die Kooperation von Forschung und Industrie in den fünfziger Jahren offensiv propagierte und praktizierte. Patente, Finanzierungen, Substanzen und Instrumente verbanden auf vielfältige Weise Butenandts Forschungen mit den einschlägigen Unternehmen. Das sogenannte Dreierabkommen der führender Pharmaunternehmen Bayer AG Leverkusen, Hoffmann-La Roche Grenzach und Schering AG, mit dem 1948 Butenandts Berufung nach Basel abgewendet werden konnte, garantierte Butenandt den Aufbau des Max-Planck-Instituts für Biochemie zu einem modern eingerichteten Institut. Die übliche epistemologische Trennung von Grundlagenforschung und angewandter Forschung läßt sich, wie dieses Beispiel zeigt, in der Praxis nicht aufrechterhalten. Das Forschungsvorhaben problematisiert schließlich auch das zuweilen recht eindimensionale Bild, welches sich die bisherige Geschichtsschreibung von Butenandt gemacht hat. Es bedarf eines neuen Analyseinstrumentariums, um die Unterstützung Butenandts durch einen kommunistischen Regierungsrat in Basel, die Zustimmung Butenandts zu Thedor Litts Kritik am naturwissenschaftlichen Imperialismus und das Eintreten des Antifaschisten Erich Kamke für Butenandt zu erklären. Kontakt: stoff@mpiwg-berlin.mpg.de [Zurück zum Anfang dieser Seite] Genetik und die Herstellung von Tiermodellen für die Humangenetik. Hans Nachtsheim und die vergleichende und experimentelle Erbpathologie in Deutschland (1920-1945)Alexander von Schwerin(1. Juli - 31. Oktober 2003) Die Geschichte der Humangenetik im nationalsozialistischen Deutschland ist bislang vorwiegend im Kontext von Anthropologie, Rassenbiologie und Rassenhygiene dargestellt worden. Die historiographische Forschung ist dabei durch die Konstruktion einer Trennlinie zwischen "pseudowissenschaftlicher" Forschung einerseits und "seriöser" Forschung andererseits nachhaltig irregeleitet worden, was sich allerdings nach 1945 als sehr produktiv für die Rehabilitierung/Etablierung der Humangenetik als medizinische Genetik erwies. In der vorliegenden Arbeit werden die Wechselwirkungen zwischen Medizin, Mendelscher Genetik und menschlicher Erblehre untersucht, in einer Zeit bevor sich die Humangenetik als Fach institutionell etabliert hatte. Indem die Forschungspraxis in die wissenschaftshistorische Untersuchung einbezogen und das Zusammenwirken zwischen ideologischen Grundlagen, materiellen Voraussetzungen und der Eigendynamik der Forschung analysiert wird, läßt sich das Verhältnis der Wissenschaft (Genetik) zur Politik (Eugenik und Nationalsozialismus) bzw. zu den gesellschaftlichen Entwicklungslinien (Verwissenschaftlichung) differenzierter bestimmen. So wird deutlich, daß sich bereits im vererbungswissenschaftlichen Diskurs der Weimarer Republik die Erbpathologie als ein eigenständiges Forschungsfeld herauszubilden begann, bevor sie dann im Nationalsozialismus zu einem maßgeblichen Bezugspunkt für die Entwicklung der menschlichen Erblehre wurde. In der Arbeit werden drei für die Interaktion von Genetik und Medizin in Deutschland relevante und entscheidende Entwicklungslinien untersucht:
Im Mittelpunkt der Betrachtung stehen das Institut für Vererbungsforschung der Landwirtschaftlichen Hochschule in Berlin-Dahlem unter dem Pflanzengenetiker Erwin Baur, das Göttinger Zoologische Institut Alfred Kühns und schließlich das Kaiser-Wilhelm-Institut für Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik unter Eugen Fischer bzw. ab 1942 unter Otmar Freiherr v. Verschuer. Analysiert werden die Wechselwirkungen zwischen Genetik, Medizin und menschlicher Erblehre, über denen sich seit Ende der Weimarer Republik ein humangenetisches Forschungsfeld formierte, das nicht nur Vertreter der menschlichen Erblehre umfaßte. In den 1930er Jahren führten die Ausprägung einer vergleichenden Experimentalkultur in der Genetik und ein "Boom" der vergleichenden Erbpathologie zu einem intensiven Austausch zwischen Tier- und Pflanzengenetikern sowie Humangenetikern. Diese Entwicklung fand ihren deutlichen Niederschlag in forschungsstrategischen Veränderungen am Kaiser-Wilhelm-Institut für Anthropologie. In diesen Zusammenhang gehört der Wechsel Hans Nachtsheims im Jahr 1941 von der Landwirtschaftlichen Hochschule an das KWI für Anthropologie, in dem er als Leiter einer experimentellen Abteilung seine Untersuchungen zur Erbpathologie des Kaninchens weiter ausbaute. In der Arbeit wird anhand der Forschungspraxis gezeigt, was es hieß, "Tiermodelle" für menschliche "Erbkrankheiten" zu konstruieren. Die Untersuchung der biomedizinischen experimentellen Kultur, in der die Produktion von Versuchstieren in den zwanziger Jahren zum wichtigen wissenschaftsorganisatorischen Anliegen wurde, und die Analyse einer Kontroverse zwischen Medizinern und Genetikern über den methodischen Wert des Tierexperiments für die Humanwissenschaft zeigen, daß im biomedizinischen Diskurs und in der experimentellen Arbeit ausgehandelt werden mußte, was als taugliches Tiermodell gelten konnte. Auf diese Weise wurde auch Nachtsheims Züchtung von erbpathologischen Kaninchenmodellen für Epilepsie, Extremitätenfehlbildungen, Katarakt (grauer Star) oder andere Krankheiten zu einem voraussetzungsreichen Unterfangen, in dem sich die Herstellung von Wissen als von den gesellschaftlichen Machtverhältnissen beeinflußt erwies. Anhand der experimentellen Eigendynamik zeigt sich zudem, daß Tiermodelle nie einen Ersatz, sondern nur eine Ergänzung zur Forschung am Menschen darstellten - was sich dramatisch in einem steigenden Bedarf an "Menschenmaterial" einerseits und der Notwendigkeit von Experimenten an Menschen andererseits niederschlug und damit zur Radikalisierung der Institutspolitik des KWI in den vierziger Jahren beitrug. Die zunehmende Orientierung der menschlichen Erblehre der dreißiger Jahre an der Genetik ist dabei vor dem Hintergrund einer konzeptionellen und forschungspraktischen Neuorientierung der Genetik seit den späten zwanziger Jahren zu verstehen. Diese Neuorientierung zeichnet sich aus durch die zentrale experimentelle Rolle von Mutationen, ein gegenüber der klassischen Mendelschen Genetik differenzierteres und dynamisches Verständnis des Verhältnisses von Organismus und Umwelt sowie durch entwicklungsphysiologische Fragestellungen. Indem sich die Humangenetiker konzeptionell auf diesen differenzierten "höheren Mendelismus" bezogen, sich das verfeinerte Instrumentarium der Tier- und Pflanzengenetiker zunutze machten und deren Ergebnisse auf den Menschen übertrugen, dehnten sie den Deutungsanspruch des eigenen Faches von einfachen Krankheiten auf komplizierte klinische Bilder wie etwa Syndrome aus. Die Hinwendung der menschlichen Erblehre zu medizinischen Themen ist indes nicht als der Beginn einer konsequenten Medikalisierung der Humangenetik zu lesen, die erst nach 1945 ihren Abschluß finden konnte. Die menschliche Erblehre hielt am Projekt fest, den ganzen Menschen dem genetischen Wissen zu unterwerfen - sei es der 'normale' oder der kranke Mensch, der Mensch als soziales Wesen oder als vermeintlicher Angehöriger einer Rasse. Die zunehmende Bedeutung medizinischer Probleme in der Humangenetik liegt daher in der sukzessiven Ausdehnung ihrer Definitionsmacht und hatte in der Praxis neben ihrer eugenischen Relevanz gewichtige methodische Gründe, so boten etwa pathologische Merkmale bessere experimentelle Ansatzpunkte, als gleichförmig präsente 'normale' Eigenschaften. Der Bezug auf die Genetik präformierte schließlich auch die Einordnung der vergleichenden Erbpathologie und Humangenetik in das biopolitische Regime des Nationalsozialismus, innerhalb dessen die Humangenetiker durchaus eigene - radikalisierende oder abwartende - Positionen bezogen. Für die nationalsozialistische Sterilisationsgesetzgebung bedeutete dies, daß sie von führenden Humangenetikern - und Genetikern - als unzureichend kritisiert wurde, weil äußerlich gesunde Träger "kranker Erbanlagen" von der "erbhygienischen" Erfassung durch das Regime ausgespart blieben. Der Deutungsanspruch der Humangenetik auf alle Fragen der Vererbung lief somit auf eine Verschärfung der rassenhygienischen Politik hinaus. Die Arbeit, die 2003 als Dissertation an der Freien Universität unter dem Titel "Tierzucht, Strahlen und Pigmente. Genetik und die Herstellung von Tiermodellen für die Humangenetik. Hans Nachtsheim und die vergleichende und experimentelle Erbpathologie in Deutschland (1920-1945)" abgeschlossen wurde, erscheint im Frühjahr 2004 im Wallstein Verlag Göttingen. Kontakt: schwerin@mpiwg-berlin.mpg.de [Zurück zum Anfang dieser Seite] Anke Pötzscher, 7. November 2003 |