Pressemitteilung vom 28. Juni 2001

Kernspaltung - Bewußtseinsspaltung. Zur wissenschaftspolitischen Rolle des Atomforschers und MPG-Präsidenten Otto Hahn in der Nachkriegszeit

Im Rahmen des Forschungsprogramms "Geschichte der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft im Nationalsozialismus" stellte der Historiker Professor Mark Walker am 28. Juni 2001 im WissenschaftsForum Berlin die Ergebnisse seiner Recherche über die wissenschaftspolitische Rolle des Chemikers und Atomforschers Otto Hahn während des Nationalsozialismus und der Nachkriegszeit vor.

Otto Hahns wissenschaftlicher und beruflicher Werdegang verlief in mehr als nur zeitlicher Hinsicht parallel zur Geschichte der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft. 1912 trat Hahn als junger Chemiker in das neu gegründete Kaiser-Wilhelm-Institut für Chemie ein. Während des Ersten Weltkrieges diente er im chemischen Waffenkorps unter dem Physikochemiker Fritz Haber. In der Folge erklomm er Stufe um Stufe die Karriereleiter innerhalb der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft: 1928 erhielt er den Direktorenposten am KWI für Chemie, 1946 wurde er letzter Präsident der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft, von 1946 bis 1960 war er der erste Präsident der neugegründeten Max-Planck-Gesellschaft.

Otto Hahns Haltung kann in wissenschaftspolitischer Hinsicht als paradigmatisch für das Verhalten der Kaiser-Wilhelm-/Max-Planck-Gesellschaft gelten: Ebenso wie andere Wissenschaftler/innen arrangierte sich Hahn 1933 nach der nationalsozialistischen Machtübernahme mit den neuen politischen Gegebenheiten. Bezeichnend ist sein Handeln Lise Meitner gegenüber, die 1938 aus Deutschland fliehen mußte. Zwar unternahm Hahn noch einige vergebliche Anstrengungen, seine langjährige jüdische Kollegin am Institut zu halten, doch nach ihrer Vertreibung begann Hahn, Schritt um Schritt seine Kollegin "aus der Geschichte herauszuschreiben". Die in Zusammenarbeit mit Lise Meitner und dem Chemiker Fritz Strassmann durchgeführten Arbeiten zur Uranforschung, die schließlich zur Entdeckung der Kernspaltung führten, wurden lediglich Otto Hahn zugeschrieben und brachten ihm 1944 den Nobelpreis ein.

Während des Zweiten Weltkrieges widmete sich Hahn mit seinem Institut fast ausschließlich der Kernspaltung und der Suche nach transuranischen Elementen. Diese Forschungen, die Hahns Institut in das deutsche Uranprojekt einbanden, wurden von den Militärbehörden als "kriegswichtig" angesehen, nicht zuletzt weil Hahn wie auch Heisenberg u. a. in mehreren populären Vorträgen vor führenden Vertretern der Industrie, des Militärs und der Partei die möglichen wirtschaftlichen und militärischen Anwendungen skizziert hatten.

Nach Kriegsende wurde Hahn zusammen mit anderen Kollegen, die direkt und indirekt in die Uranforschung involviert waren, in England interniert. Dort erfuhren sie durch Radioreportagen vom Atombombenabwurf über Hiroshima. Spätestens zu diesem Zeitpunkt setzte ein Prozeß der Verdrängung und Mythenbildung ein. Wesentliche Elemente dieses Prozesses sind: erstens, die Anpassung sowohl von Hahns eigener wissenschaftlicher Arbeit als auch die seines Instituts an die Zielsetzungen des Nationalsozialismus; zweitens, das zunächst durch die Nationalsozialisten, in der Folge aber auch von Hahn selbst verübte Unrecht an seiner Kollegin Lise Meitner; und drittens, die unterschiedlichen aktiven Beteiligungen von Wissenschaftlern, Instituten und Verwaltungsangehörigen der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft an der nationalsozialistischen Aggressions- und Rassenpolitik. Diese Art der Vergangenheitsbewältigung war noch lange gegenwärtig.

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Christine Rüter, 9. Juli 2001