Pressemitteilung vom 17. Mai 2001

Erinnerung und Ausblendung. Ein kritischer Blick in den Briefwechsel Adolf Butenandts (MPG-Präsident 1960-1972)

Im Rahmen des Forschungsprogramms "Geschichte der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft im Nationalsozialismus" stellte der Genetiker Professor Benno Müller-Hill am 17. Mai 2001 im WissenschaftsForum Berlin die Ergebnisse seiner Recherche über die Zusammenarbeit zwischen Adolf Butenandt und Otmar Frhr. von Verschuer in den letzten Kriegs- und ersten Nachkriegsmonaten vor.

Der ehemalige Präsident der Max-Planck-Gesellschaft (1960 bis 1972), Adolf Butenandt, war einer der großen Biochemiker des 20. Jahrhunderts. 1936 wurde er im Alter von 33 Jahren Direktor des Kaiser-Wilhelm-Instituts (KWI) für Biochemie in Berlin-Dahlem. Drei Jahre später wurde ihm für seine Leistungen in der Hormonforschung der Nobelpreis für Chemie verliehen.

Der Mediziner und Humangenetiker Otmar von Verschuer übernahm 1942 die Leitung des ebenfalls in Berlin-Dahlem gelegenen Kaiser-Wilhelm-Instituts für Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik. Zuvor war er Direktor des Instituts für Erbbiologie und Rassenhygiene an der Universität Frankfurt/Main. Dort hatte er 1938 seinen Mitarbeiter, den späteren KZ-Arzt von Auschwitz, Josef Mengele in Medizin promoviert; bis Kriegsende unterhielt von Verschuer enge wissenschaftliche und berufliche Beziehungen zu Mengele.

Im August 1943 begannen unter Leitung des KWI-Direktors von Verschuer kooperative Forschungsprojekte über "spezifische Eiweißkörper" und "Tuberkulose", in die sowohl Mengele als auch seit Oktober 1944 ein wissenschaftlicher Mitarbeiter Butenandts, Günther Hillmann, eingebunden waren: Hillmann untersuchte an Butenandts Institut in Berlin-Dahlem Blutseren von infizierten Kaninchen, aber mit hoher Wahrscheinlichkeit auch menschliche Blutproben, die der KZ-Arzt Mengele seinem Lehrer von Verschuer aus Auschwitz geschickt hatte. Die Blutproben aus Auschwitz stammten von Häftlingen aus verschiedenen ethnischen Gruppen. Ziel der Untersuchung war es, die molekulare Grundlage für die unabgesicherte Beobachtung zu finden, daß aschkenasische Juden weniger empfindlich gegenüber Tuberkuloseinfektionen seien als Nichtjuden. Es wurde vermutet, daß aschkenasische Juden mehr oder wirksamere "Abwehrfermente" gegen Tuberkelbazillen bildeten. Die Kooperation mit Günther Hillmann, der als Experte für den Nachweis von "Abwehrfermenten" galt, begann zu einer Zeit, als Butenandt noch in Berlin war. Sie wurde auch noch fortgesetzt, nachdem Butenandt an den Verlagerungsort seines Instituts nach Tübingen übergesiedelt war.

Was wußte Butenandt von den verbrecherischen Dimensionen dieser Forschungskooperation? Über diese Frage sollte der Briefwechsel zwischen den beiden Institutsdirektoren bzw. zwischen Butenandt in Tübingen und seinem Berliner Stellvertreter Günther Hillmann Auskunft geben können. Dieser Briefwechsel befindet sich im Nachlaß Adolf Butenandts im Archiv zur Geschichte der Max-Planck-Gesellschaft, jedoch weist er Lücken auf. Die vorhandenen Briefe belegen immerhin, daß Butenandt grundsätzlich über das Forschungsvorhaben informiert war und daß er anordnete, Akten mit der Aufschrift "Geheime Reichssache" zu vernichten. Details allerdings bleiben im Dunkeln. Inwieweit legten sich die beteiligten Wissenschaftler Rechenschaft darüber ab, woher die Blutproben kamen, welchen Menschen sie entnommen waren und unter welchen Umständen dies geschehen war? Diese Fragen sind nicht mehr zu beantworten. Bei der kritischen Durchsicht des Briefwechsel eines der großen und bis heute anerkannten deutschen Biowissenschaftler offenbaren sich vielmehr Formen der Verdrängung, die von der Ausblendung des politischen Um-felds und der konsequenten Nicht-Wahrnehmung des Unrechts über die verdinglichende Wortwahl und die Sorgfalt des Nicht-Aussprechens bis hin zur rechtzeitigen und gezielten Vernichtung von Dokumenten reichen.

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Christine Rüter, 27. Juni 2001