Pressemitteilung vom 6. November 2003

Die Generalverwaltung der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft im "Dritten Reich": eine Erfolgsgeschichte

Der Nationalsozialismus war extrem wissenschaftsfeindlich, und selbst eine Spitzeninstitution der Forschungsförderung wie die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft (KWG) mußte unter der NS-Herrschaft um ihr Überleben kämpfen - so die gängige Vorstellung noch bis in die jüngste Zeit. Rüdiger Hachtmann setzt dem entgegen: Die KWG war in den Jahren 1933 bis 1945 eine äußerst erfolgreiche, stark expandierende Institution.

Die Erfolge in der NS-Zeit waren wesentlich der Generalverwaltung zu verdanken, namentlich dem seit 1937 amtierenden Generalsekretär Ernst Telschow - und dies in vierfacher Hinsicht:

1. Die Generalverwaltung schaffte es, in einem bis dahin kaum für möglich gehaltenen Maße Geldquellen zu erschließen.
2. Unter Telschows Einfluß wuchs die KWG zwischen 1938 und 1943 von einer nationalen zu einer europäischen Wissenschaftsinstitution heran.
3. Das Renommee der KWG gegenüber industriellen, militärischen und politischen Handlungsträgern des NS-Regimes wurde ausgebaut und die Gesellschaft konnte ihre Handlungsräume erheblich erweitern.

4. Es gelang der Generalverwaltung, die organisatorische Selbständigkeit der KWG zu wahren.

Im Vortrag werden die Etatentwicklung der KWG sowie die Finanzpolitik der Generalverwaltung und deren politische Haltung gegenüber dem NS-Regime thematisiert. Hachtmann untersucht ferner die Öffentlichkeitsarbeit der Generalverwaltung und die Veränderungen der Kommunikationskanäle zu den politischen Instanzen. Dabei unterscheidet er zwischen der "Ära" des Generaldirektors der KWG, Friedrich Glum (unter der KWG-Präsidentschaft Max Plancks) bis 1937 und der anschließenden "Ära Telschow" (unter der Präsidentschaft der "Industriepräsidenten" Carl Bosch und Albert Vögler). Innerhalb der KWG wuchs die Bedeutung der Generalverwaltung, insbesondere nach der Machtübernahme Telschows 1937, rapide. Dies lag wesentlich an der offensiven Politik des neuen Generalsekretärs, finanzielle und materielle Ressourcen zu erschließen. Der energische Telschow und der seit 1941 als Präsident der KWG amtierende Albert Vögler, die graue Eminenz der rheinisch-westfälischen Schwerindustrie, verhinderten ein Auseinanderfallen der KWG, wie es sich noch 1933/34 abzeichnete. Statt dessen kam es zu einer systematischen Zentralisierung der Gesellschaft, die auch ihr Überleben nach 1945 (als Max-Planck-Gesellschaft) ermöglichte. Darüber hinaus war die Generalverwaltung vor allem unter Telschow entscheidend für eine wachsende Politisierung der KWG und ihre Integration in das nationalsozialistische Herrschaftssystem verantwortlich.

Erfolg hat seinen Preis: Mit Blick auf die Institute der KWG läßt sich konstatieren, daß innerhalb der Fachwissenschaften und Teildisziplinen strukturelle Elemente fehlten, die eine Beteiligung an diesem verbrecherischen Regime hätten verhindern können. Dies gilt noch in weit stärkerem Maße für Wissenschaftspolitik und Wissenschaftsmanagement.

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Anke Pötzscher, 6. November 2003