Pressemitteilung vom 14. Dezember 2000

Zwangsarbeit für die Wissenschaft. Fremdarbeiter/innen, Kriegsgefangene und KZ-Häftlinge bei der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft

Im Rahmen des Forschungsprogramms "Geschichte der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft (KWG) im Nationalsozialismus" stellte der Historiker Jens-Christian Wagner (Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora) am 14.12.2000 im WissenschaftsForum Berlin Forschungsergebnisse zur Beschäftigung von Zwangsarbeiter/innen bei der KWG vor.

Wie in nahezu allen Bereichen der deutschen Kriegswirtschaft mußten auch in Kaiser-Wilhelm-Instituten zwischen 1939 und 1945 Ausländer/innen und Deutsche Zwangsarbeit leisten. Dabei war die Zahl von Zwangsarbeiter/inne/n in Instituten mit landwirtschaftlichen Versuchsgütern besonders hoch. Daneben wurden viele Zwangsarbeiter/innen bei Bauarbeiten beschäftigt, insbesondere bei den kriegsbedingten Institutsverlagerungen ab 1943.

Insgesamt dürften mindestens 1000 Personen Zwangsarbeit für die KWG geleistet haben - dies jedoch nie zum gleichen Zeitpunkt, denn aufgrund der ausgeprägten saisonalen Beschäftigungsstrukturen waren die Zwangsarbeiter/innen selten mehr als einige Monate fortlaufend beschäftigt.

Das Ausmaß des Arbeitszwangs war sehr unterschiedlich. Es reichte von Dienstverpflichtungen westeuropäischer Studente/inne/n, denen noch gewisse Freiheiten gelassen wurden, über die Beschäftigung sogenannter Ostarbeiter/innen bis zur Zwangsarbeit von KZ-Häftlingen und orientierte sich an den rassistischen Vorgaben des NS-Verfolgungs- und Vernichtungsapparates. Danach standen jüdische und osteuropäische Häftlinge aus den Konzentrationslagern Sachsenhausen und Flossenbürg am Ende der nach unten verlängerten sozialen Stufenleiter innerhalb der KWG.

Der Charakter der Arbeit konnte entscheidende Auswirkungen auf die Lebensbedingungen der Zwangsarbeiter/innen haben. Für wissenschaftlich qualifizierte Häftlinge konnte die Zwangsarbeit mitunter lebensrettend sein. Allerdings spielte die qualifizierte Zwangsarbeit in den Instituten nur eine untergeordnete Rolle. Indirekt beschäftigte die KWG aber eine größere Anzahl von inhaftierten polnischen, sowjetischen und jüdischen Wissenschaftler/innen. Sie vergab externe Forschungsaufträge an Institute, die in das "SS-Ahnenerbe" oder die deutschen Besatzungsverwaltungen in Polen und der Sowjetunion eingebunden waren. In erster Linie betraf dies das "Institut für deutsche Ostforschung" mit seinen Forschungseinrichtungen in Lemberg und Krakau, die nach 1943 mit ihrem Personal sukzessive nach Deutschland verlagert wurden.

Skrupel gegenüber der Beschäftigung von Zwangsarbeiter/innen sind aus den erhalten gebliebenen Akten der KWG nicht herauszulesen. Es fällt allerdings auf, daß sich die Zwangsarbeit von KZ-Häftlingen auf wenige Institute beschränkte und ganz offensichtlich durch das Verhalten ihrer Direktoren oder anderer maßgeblicher Wissenschaftler mitbedingt war. So ist die Beschäftigung von KZ-Häftlingen auf einer Baustelle des KWI für physikalische Chemie und Elektrochemie in Falkenhagen bei Berlin kaum denkbar ohne das Mitwirken des Direktors Peter Adolf Thiessen, der als Fachspartenleiter im Reichsforschungsrat über beste Beziehungen zur SS verfügte. Das gleiche gilt für den Direktor des KWI für Züchtungsforschung, Wilhelm Rudorf, und seinen Assistenten Richard Werner Böhme, die eng mit Himmler als Sonderbeauftragtem für Pflanzenkautschuk zusammenarbeiteten und in Auschwitz KZ-Häftlinge auf Kautschuk-Versuchsfeldern arbeiten ließen.

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Christine Rüter, 15. Januar 2001