Pressemitteilung vom 20. Februar 2003

Proteinforschung an Kaiser-Wilhelm-Instituten von 1930 bis 1960 im internationalen Vergleich

Die biochemische Proteinforschung erhielt seit den 1930er Jahren großen Auftrieb durch neue Technologien. Mit Hilfe der Ultrazentrifuge, Röntgenstrukturanalyse und Chromatographie wurden grundlegende Erkenntnisse über die makromolekulare Natur und Struktur von Proteinen und Nucleinsäuren gewonnen. In der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft (KWG) gab es bis Mitte der 1930er Jahre führende Zentren der Proteinchemie. Nach dem Zweiten Weltkrieg war dort jedoch keine nennenswerte Proteinforschung mehr vorhanden; die entscheidenden Fortschritte bei der Aufklärung der Proteinstruktur und -funktion sowie den medizinischen und technischen Anwendungen wurden in England und in den USA erzielt. Ute Deichmann diskutiert die Gründe dieses wissenschaftlichen Rückschlags am Beispiel der Kaiser-Wilhelm-Institute (KWI) für Lederforschung und Biochemie.

Das KWI für Lederforschung war unter seinem Direktor Max Bergmann Anfang der 1930er Jahre eines der führenden Institute in der chemischen Proteinforschung, insbesondere auf dem Gebiet der Kollagene, den Proteinen der Haut. Bergmanns Nachfolger, Wolfgang Grassmann, stellte indessen seit 1937 die Forschung weitgehend auf Erfordernisse des Vierjahresplans zur wirtschaftlichen Autarkie um. In Zusammenarbeit mit der IG Farben und Textilindustrie wurde an der Entwicklung von Lederersatzstoffen und Gerbstoffen auf einheimischer Rohstoffbasis gearbeitet. Während des Krieges kamen militärisch relevante Forschungsprojekte, wie die Herstellung eines Lostschutzmittels zur Lederimprägnierung, hinzu. Kurz nach Kriegsbeginn wurde die Proteinforschung ganz eingestellt. Im Unterschied dazu wurden in den USA während des Krieges viele Patente auf dem Gebiet der Kollagenforschung erworben.

Am KWI für Biochemie verlagerte sich der Forschungsschwerpunkt nach der Entlassung des jüdischen Direktors Carl Neuberg von der Protein-(Enzym-) Chemie und Biochemie des Intermediärstoffwechsels zur Naturstoffchemie, vor allem der Steroide. Neubergs Nachfolger Adolf Butenandt forschte schwerpunktmäßig auf den Gebieten der Sexualhormone, Pheromone von Insekten und chemischen Cancerogenese. Während des Krieges übernahm sein Institut darüber hinaus einen Forschungsauftrag zur Proteinstruktur und Antikörperdarstellung. Forschungen mit dem Ziel der künstlichen Antikörperproduktion ließen ebenso wie die Krebsforschung über D-Peptidasen in Tumorgewebe spektakuläre Anwendungen etwa bei der Seuchenbekämpfung und Krebsdiagnose erwarten. Sie blieben jedoch erfolglos, da sie auf Forschungen amerikanischer und deutscher Kollegen basierten, die sich als nicht reproduzierbar bzw. als Fälschung herausstellten.

Mehrere politische Faktoren kommen in Betracht, die möglicherweise die Proteinforschung in Deutschland negativ beeinflußt haben. So wurden mit den jüdischen Wissenschaftlern gerade solche entlassen, die erfolgreich auf den Gebieten der Stoffwechselbiochemie und der organisch-chemischen Proteinchemie gearbeitet hatten. Im Zuge der Autarkiepolitik wurde die Förderung auf technisch verwertbare Kohlenhydrate fokussiert. Das nationalsozialistische "Führerprinzip" verstärkte die Autorität der Institutsleiter, beschränkte die kollegiale Kritik wissenschaftlicher Annahmen und Forschungsergebnisse und leistete dem Aufgreifen von gerade in der Proteinforschung verbreiteten Irrtümern und Fälschungen Vorschub. Nicht zuletzt war der wissenschaftliche Austausch mit ausländischen Kollegen des Auslands während des Zweiten Weltkriegs reduziert.

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Anke Pötzscher, 17. März 2003