Pressemitteilung vom 19. Juni 2003

Der kalte Krieg in der Max-Planck-Gesellschaft: Die zögerliche Vereinigung der ehemaligen KWI im Westen, 1945-1949

Nach dem II. Weltkrieg versuchten die meisten Wissenschaftler, unabhängig davon, ob sie selbst aktiv mit der nationalsozialistischen Regierung kooperiert hatten oder nicht, von der engen Beziehung zwischen Wissenschaft und Nationalsozialismus abzulenken. Sie stellten Wissenschaft als ein apolitisches Streben nach Wahrheit dar und sprachen sich damit selbst von jeglicher Verantwortung für die im "Dritten Reich" begangenen Verbrechen frei. Parallel dazu gab es Versuche, besonders "belastete" Kollegen aus der scientific community auszuschließen und Täterschaft auf wenige "Schwarze Schafe" zu begrenzen.

Der Streit um den seit 1937 amtierenden Generalsekretär der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft, Ernst Telschow, im Herbst 1949, mit dem sich Jeffrey Lewis in seinem Vortrag auseinandersetzt, fällt aus dem verbreiteten Muster von rhetorischer Selbstreinigung und personalpolitischer Täterkreisverengung heraus. Nach Gründung der Bundesrepublik stand die Wiedervereinigung der in der französische Besatzungszone befindlichen Kaiser-Wilhelm-Institute mit der in der vormaligen britisch-amerikanischen Bi-Zone bereits etablierten Max-Planck-Gesellschaft auf der Tagesordnung. Verschiedene Institutsdirektoren in der französischen Besatzungszone, insbesondere die Biologen Alfred Kühn und Georg Melchers sowie der Biochemiker Adolf Butenandt, wollten ihren Eintritt in die Max-Planck-Gesellschaft davon abhängig machen, daß der Generalsekretär der Max-Planck-Gesellschaft, Ernst Telschow, von seinem Amt zurückträte. Ihre Opposition gegen Telschow lag ursprünglich in dessen Bemühungen begründet, die Finanzierung der Institute in der französischen Zone unter seine Kontrolle zu bringen. Inzwischen aber erstreckte sich die Gegnerschaft vornehmlich auf Telschows Rolle im "Dritten Reich". Einige der Direktoren, vor allem Kühn und Melchers, erklärten, daß sie der Max-Planck-Gesellschaft nicht beitreten würden, solange Telschow noch deren Generalsekretär sei. Seine aktive Mitgliedschaft in der NSDAP und seine jahrelange enge Zusammenarbeit mit der nationalsozialistischen Regierung machten ihn in ihren Augen untragbar für die zukünftige bundesdeutsche wissenschaftliche Eliteorganisation. Ihre Kampagne zur Entlassung von Telschow schlug fehl, und damit versandete einer der wenigen Versuche deutscher Wissenschaftler, politische Konsequenzen aus den Erfahrungen der jüngsten Vergangenheit zu ziehen. Im Scheitern dieses Versuchs einer anderen Vergangenheitspolitik verband sich die institutionelle Schwäche von Wissenschaft in der Gründungsphase der Bundesrepublik mit der allzu begrenzten politischen und moralischen Standhaftigkeit der beteiligen wissenschaftlichen Akteure.

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Anke Pötzscher, 23. Juni 2003