Pressemitteilung vom 15. Juli 2004

Wissen und Wissenschaft vom Leder in Deutschland (1920-1950). Ein internationaler Vergleich

Leder - vor allem für Fußbekleidung und Treibriemen – galt als einer der wichtigsten Rohstoffe für die Kriegsführung. „Wenn wir unseren Soldaten keine Schuhe anzuziehen haben, dann brauchen wir uns um die Kanonen gar nicht zu kümmern“, gab der Wehrmachtsoffizier Karmann auf einer wehrwirtschaftlichen Tagung bereits im Oktober 1936 zu bedenken. Deutschland war jedoch auf diesem Gebiet in starkem Maße importabhängig. Nach Ansicht der Wehrwirtschaftsexperten war es die Aufgabe der Wissenschaft, im Rahmen der Autarkiepolitik die sogenannte Lederlücke zu schließen und einheimische Ersatzstoffe für die importierten Häute und Gerbstoffe zu finden.

In ihrem Vortrag zeichnet die Wissenschaftshistorikerin Anne Sudrow die Entwicklung der Lederforschung in Deutschland unter dem Einfluß der nationalsozialistischen Wirtschafts- und Rüstungspolitik nach. Im Juni 1934 übernahm Wolfgang Graßmann die Nachfolge des 1933 emigrierten Max Bergmann als Leiter des Kaiser-Wilhelm-Instituts (KWI) für Lederforschung in Dresden. Graßmann stand in permanenter Konkurrenz zu seinem ehemaligen KWI-Kollegen Friedrich Stather, seit 1935 Leiter der Deutschen Versuchsanstalt für Lederindustrie in Freiberg/Sachsen. Die jeweiligen Allianzen der beiden Chemiker mit dem Militär, den Institutionen des Vierjahresplans sowie anderen Dienststellen des NS-Staates und nicht zuletzt verschiedenen Großunternehmen bestimmten die Forschungsgegenstände und -methoden ihrer Institute.

Wie entwickelte sich im Vergleich dazu die Lederforschung in anderen Industrieländern? Um die Besonderheiten der deutschen Forschung unter den Bedingungen der NS-Wirtschafts- und Rüstungspolitik zu beurteilen, untersucht Anne Sudrow die wissenschaftliche Entwicklung in Großbritannien und den USA. In beiden Ländern nahm die Ersatzstoffproduktion keine derart zentrale Stellung ein wie in der deutschen Autarkiepolitik. Die USA waren bereits vor dem Krieg weltweit als der größte Häute- und Schuhproduzent aufgetreten. Großbritannien hatte zwar den höchsten Lederverbrauch in Europa, aber auch ungehinderten Zugriff auf seine kolonialen Rohstoffmärkte. Dennoch war die deutsche Ersatzstoff-Forschung auch für die britischen und US-amerikanischen Lederforscher von großem Interesse. Dies zeigte sich nicht zuletzt, als sie kurz nach Kriegsende die Arbeit ihrer deutschen Kollegen evaluierten.

[Zurück]

Birgit Kolboske, 19. Juli 2004