Pressemitteilung vom 15. Januar 2004

Krankheit oder Laster? Erbbiologische Forschungen zu Homosexualität 1933 bis 1945

Auf ihrem Weg zur Macht hatten die Nationalsozialisten keinen Zweifel daran gelassen, daß die Bekämpfung von Homosexualität ein fester Bestandteil ihres politischen Programms war. Die wissenschaftlichen Auseinandersetzungen mit dem Thema Homosexualität waren somit seit Beginn der NS-Herrschaft brisant. Die einschlägigen Forschungen fanden in einem außerordentlich politisierten Feld statt. Susanne zur Nieden analysiert in ihrem Vortrag die Verbindungen von Wissenschaft und Politik in der erbbiologischen Forschung zur Homosexualität. Im Mittelpunkt steht dabei ein Forschungsprojekt zur genetischen Bedingtheit von Homosexualität, das der Mediziner Theo Lang mit großer Energie vorantrieb. Lang war wissenschaftlicher Assistent Ernst Rüdins an der Deutschen Forschungsanstalt für Psychiatrie in München. Diese in den 1920er und 30er Jahren führende Forschungseinrichtung für psychiatrische Humangenetik und "Rassenhygiene" zählte zu den Instituten der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft.

Lang galt in historischen und sexualwissenschaftlichen Untersuchungen bislang als typischer Vertreter der NS-Forschung zum Thema Homosexualität. Die Geschichte seines Forschungsvorhabens zeigt jedoch, daß Lang mit Theorien, die von einer erblichen Veranlagung zur Homosexualität ausgingen, ab Mitte der 1930er Jahre in Widerspruch zum wissenschaftlichen und politischen Mainstream geriet.

Am Beispiel seines beruflichen Scheiterns wird eine in gewisser Weise paradoxe Bewegung nachgezeichnet: Einerseits war die staatliche Verfolgung homosexueller Männer die Voraussetzung, die das Vorhaben des ehrgeizigen Wissenschaftlers überhaupt möglich machte; andererseits kollidierte das Ergebnis seiner Forschungen mit eben jenen Bedingungen, auf denen das Projekt basierte. Der empirische Nachweis der Erblichkeit von Homosexualität, den Theo Lang zu erbringen versuchte, war nämlich geeignet, die polizeiliche Verfolgung und juristische Bestrafung homosexueller Verfehlungen fragwürdig erscheinen zu lassen. Zwar erhielt die Erbpsychiatrie mit dem Machtantritt der Nationalsozialisten starken Auftrieb, und nicht zuletzt die durch den Psychiater Ernst Rüdin initiierten Forschungen trugen dazu bei, erbbiologische Konzepte in nationalsozialistische "Rassenpolitik" zu übersetzen. Im Zusammenhang mit einem extrem politisierten Feindbild vom homosexuellen Delinquenten verloren jedoch Erklärungsmuster von Homosexualität als Krankheit ausgerechnet im Nationalsozialismus, der die Erbbiologie zur Grundlage der Politik erhoben hatte, an wissenschaftlicher Bedeutung.

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Anke Pötzscher, 15. Januar 2004