Pressemitteilung vom 13. Mai 2002

Eugenik und wissenschaftliche Praxis im Nationalsozialismus. Zur Wissenschaftsgeschichte der Schizophrenieforschung an der Deutschen Forschungsanstalt für Psychiatrie/Kaiser-Wilhelm-Institut

Im Rahmen des Forschungsprogramms "Geschichte der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft im Nationalsozialismus" hielt die Historikerin und ehemalige Projektleiterin Professorin Doris Kaufmann am 13. Mai 2002 im WissenschaftsForum Berlin, der sich mit grundsätzlichen Fragestellungen zu Eugenik und wissenschaftlicher Praxis im Nationalsozialismus beschäftigte.

Genese und Entwicklung des Wissensgebiets Eugenik/Rassenhygiene zeigen, daß hier mehrere Felder besetzt und zusammengebunden wurden. Das deutliche Ineinandergreifen von gesellschaftlich-kulturellen, wissenschaftlichen und staatlich-politischen Bereichen hat die meisten Historiker veranlaßt, der Eugenik/Rassenhygiene den Status einer "richtigen" Wissenschaft abzusprechen. Funktionierte die Forschung und wissenschaftliche Praxis der Vererbungswissenschaft/Eugenik/Rassenhygiene überhaupt nach wissenschaftlichen Regeln? Diese Frage stellte sich in Deutschland insbesondere nach 1933, als die weltanschauliche Übereinstimmung zwischen den Wissenschaftlern des rassenhygienischen Denkkollektivs und den nationalsozialistischen Gesellschaftsplanungen offensichtlich wurde.

Doris Kaufmanns Vortrag erörterte die Frage, inwieweit angesichts der gemeinsamen weltanschaulichen Prämissen von nationalsozialistischer Rassenpolitik und vererbungswissenschaftlichem Erkenntnisinteresse die genetische Erkenntnisproduktion im "Dritten Reich" noch den innerwissenschaftlichen Grundsätzen folgte bzw. überhaupt folgen konnte. Als Beispiele für innerwissenschaftliche Regeln können eine internationale und nationale Diskussion und der Austausch von Ergebnissen, eine von außen unbehinderte innerwissenschaftliche Validitäts- und Standardkontrolle durch das gesamte Spektrum der Fachgemeinschaft und die Existenz unabhängiger wissenschaftlicher Publikationsorgane gelten. Diese professionellen Regeln waren im Selbstverständnis der nach 1945 zurückblickenden Wissenschaftler notwendige Rahmenbedingung für die Entfaltung der inneren Rationalität der wissenschaftlichen Arbeit. Diese wissenschaftsspezifischen Arbeits- und Verfahrensweisen wurden wiederum herangezogen, um im nachhinein eine erkenntnistheoretische Resistenz gegenüber einer sich im Nationalsozialismus vollziehenden Politisierung und Indienstnahme der Wissenschaften zu behaupten. Am Beispiel der Schizophrenieforschung von Prof. Hans Luxemburger, Mitarbeiter an der Deutschen Forschungsanstalt für Psychiatrie/Kaiser-Wilhelm-Institut in München wurde an einem Ausschnitt wissenschaftlicher Praxis dem Zusammenspiel von Vererbungswissenschaft und Rassenpolitik nachgegangen.

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Christine Rüter, 27. Mai 2002